Elbe 2004: 13.-19.9.2004, ein Herbsttörn mit Markus Schöner, Ernst Gut und "Kleine Brise"



Teil I: Schwarzweiss


Kleine Brise
Baujahr 1939, auf der Kröger Werft in Warnemünde als Trainingsboot für Luftwaffen(!)Offiziere gebaut.
Renoviert 1993-1998 von Brar Okke Braren.
Länge 8,96 Meter ohne Ruder.
Breite 2,76 Meter.
Tiefgang 0.3 - 2,00 Meter.
Gewicht ca. 1600. Kg incl. 350 Kg Ballastschwert aus Bronze.

Kleine Brise

Abb. 1: Kleine Brise

 B 174

Abb. 2: B 174

13.9.2004

Markus meint, es müsste gehen.
Zwar heult der von der Nordsee die Elbe hochstürmende Wind in den vielen hundert Riggs des Seglerhafens von Wedel bei Hamburg zum Fürchten. Zwar neigen sich die vielen hundert Schiffe ganz ohne Segel allein vom Winddruck in den Riggs ehrfürchtig und gehorsam nach Lee. Zwar neigt der im Schutz seiner Windhutze Pfeiferauchende Skipper vom Nachbarboot bedenklich seinen Kopf, als er sieht, dass wir auslaufen wollen. Zwar haben wir als Gefährt keine von den vielen hundert sturm- und seefesten Yachten, die hier als angemessene Seefahrzeuge gelten, sondern einen Jollenkreuzer "B" aus dem Jahr 1939.

Aber Markus meint, es geht.
Ich selber versuche, mir mit "ganz ruhig" und ein bisschen Zigarillo Mut zu machen. Schließlich habe ich dieses mulmige Gefühl nicht zum ersten Mal und immerhin ist es früher auch meistens "gegangen".
Als wir dann richtig draußen und unter Segeln elbabwärts unterwegs sind, gesteht mir Markus, er habe "Schiss" gehabt, als wir wortkarg und mit betont langsamen Bewegungen die "Kleine Brise" zum Auslaufen klar machten. Dass Zweifel in ihm hochgekommen seien, ob wir zwei "so was" überhaupt noch können.
Aber jetzt sind wir "in Fahrt", wie es die Seeschiffahrtsstraßenordnung nennt. Und wie! Rasch steigen gegenseitiges und Selbstvertrauen wieder, das zweifache Angstreff kommt raus und der Jolli zeigt, wie man seit über sechzig Jahren Windkraft optimal in Vortrieb umsetzt. 5 Beaufort aus Südwest blasen komfortabel raum ins Segel und mit acht bis neun Knoten rauschen wir selig stromab durchs gelbbraune Elbwasser.
Über Grund sieht das Fortkommen schon bescheidener aus. Drei bis vier Knoten dürften noch übrig bleiben von Sturm und Drang, nachdem wir den Tidenkalender gleichmütig ignoriert haben ("ist ja Urlaub") und bei steigender Tide ausgelaufen sind.
Die Ufer sind flach und kilometerlang mit Schilf und Auengestrüpp bewachsen. Eine riesige Raffinerie oder die geduckten Betonbauten des Kernkraftwerks Stade stören da nicht wesentlich. Ansonsten kleine und größere Leuchttürme, Schafe auf den Grasbewachsenen Deichen und rosenkranzartig die grünrote Betonnung des Fahrwassers. Etwa 20 Flusskilometer stromab lockt in Fahrtrichtung rechts eine Fahrwasserabzweigung. Ab vom Hauptstrom geht es hinter eine mehrere Kilometer lange Flussinsel. Wir biegen ab in den schmaler werdenden Tonnenstrich und werden mit Naturlandschaft pur belohnt.
Ich liege bäuchlings an meinem Lieblingsplatz vorne am Bug und lasse das wunderbare Bild des fast senkrecht ins Wasser schneidenden Stevens auf mich wirken. Der Wind frischt auf, ein wenig Lage kommt ins Schiff und anstatt sich weiter zu legen, wie jede anständige Yacht, beschleunigt die "Kleine Brise", um dem vermehrten Winddruck elegant nach vorn auszuweichen. Sie ist wieder da, meine in den letzten Monaten scheinbar verloren gegangene Segelfreude. Gleiten, rauschen, fliegen, Genuss pur.
Die Tide "kentert" gegen 17 Uhr, und nun machen wir auch über Grund richtig Strecke. Nach sechs taucht rechts voraus die Einfahrt nach Glückstadt auf und nach kurzer Beratung beschließen wir, es gut sein zu lassen mit der Rauschefahrt. Immerhin regnet es nun leicht und Glückstadt ist bekannt für Matjeshering und da wollen wir nun auch nicht ohne Not vorbeirauschen. Im Hafen zwei, drei Segler auf den Stegen, die sich rasch für unsere Segelschönheit interessieren und die sie nach eigenem Bekunden auch "gut" kennen.
Immerhin ist "Kleine Brise" schon eine ganze Weile in diesen Gewässern unterwegs.

Segelwetter

Abb. 3: Segelwetter!

Abends im Restaurant "Kandelaber", dem Nr.1-Matjes-Restaurant im Matjes-Mekka Glückstadt: Matjes Hausfrauen-Art, Schweden-Art, Exotic, Kräutergarten, dazu 2 Dutzend Saucen.
"Friesen-Sushi..." murmelt der Nicht-Friese, mit dem ich segle und schaut dabei ängstlich über die Schulter.

14.9.2004

5:32. Die Tide "kentert", in die für unser Fahrtziel Elbmündung richtige Richtung.
8:15. Ich öffne zum ersten Mal an diesem wunderbar sonnigen und windigen Herbsttag die Augen. Schon fast drei Stunden Tide verschenkt.
Ich schlafe noch mal eine Viertelstunde. Dann rührt sich auch Markus im Vorschiff. Taucht einen Augenblick später in Neoprenshorts, Schwimmbrille und Triathlonschwimmkappe auf, entschlossen, den festsitzenden Logpropeller am Unterwasserschiff zu lösen. Kälte ist bei immer noch 18 Grad Wassertemperatur nicht das Problem. Da schreckt schon eher die seit Hamburg überwiegend in Brauntönen changierende Wasserfarbe. Doch wer der Ablesbarkeit von Geschwindigkeit verfallen ist, kennt da kein Erbarmen. Zwei Tauchgänge, Markus kurbelt mit der großen Zehe am Propeller und schon wird oben im trockenen Cockpit Speed angezeigt.
Spät und fast pünktlich zum Umkippen der Gezeitenströmung gegen unsere geplante Fahrtrichtung laufen wir aus. Das Groß gleich mal zweifach gerefft. Immerhin pfeift es schon im Vorhafen mit gut fünf Windstärken und der Seewetterdienst hat für die Elbmündung "6 bis 8, in Böen 9" versprochen. Der Wind kommt weiter aus günstiger Südwestrichtung und mit Raumkurs genehmigen wir uns zusätzlich die Genua 3 und schon bestätigt uns der Speedo, dass wir herrlich schnell fahren. 9 Knoten über weite Strecken, dazwischen immer wieder über zehn. Wie soll ich mich da je wieder an die Gangart meines 25-Füssers zu Hause gewöhnen?
Grosse, nein riesige Containerschiffe ziehen im Elbehauptwasser an uns vorbei. Für uns Laien in ihrer Funktion völlig unverständliche Arbeitsschiffe mit unwirklichen Hebel- und Krankonstruktionen und Rüsseln und Schläuchen wie Urtiere begegnen uns. Was sich der Mensch nicht alles für Wasserfahrzeuge ausgedacht hat.

Wasserfahrzeug

Abb. 4: Wasserfahrzeug.

Nach etwa 1 Stunde passieren wir an Steuerbord Brokdorf, wieder eine Stunde später Brunsbüttel. Die Sonne scheint, die Welle kommt von achtern und so hält sich die Furcht vor dem doch respektablen Sechserwind mit den angekündigten Siebenern und gelegentlichen Achtern in Grenzen. Bei Brunsbüttel zweigt rechtsufrig der Nordostseekanal ab. Unser Fahrwasser zieht nach Süden und zunehmend höher am Wind wird die Fahrt lebhafter. Markus hängt Schottbrett und Türen ein, für den Fall eines "GAU", wie er sich passend zu Brokdorf, Brunsbüttel und Stade ausdrückt. Der trifft zwar nicht ein, dafür kommt Augenblicke später die erste Welle hoch über den niedrigen Bug und das sportlich flache Kajütdach und zumindest für meinen Schlafsack auf der Backbordkoje hätte dies den Größten Anzunehmenden Unfall bedeutet, wenn Markus nicht vorausgedacht hätte.
Die Böen werden nun wirklich zum Problem. Trotz komplett gefiertem Traveller legt es uns immer wieder hin und wir müssen mit der Großschot arbeiten, um Schlimmeres zu verhüten. Der Skipper entscheidet schließlich, das vortriebsmässig nutzlose und lagetechnisch unangenehme Groß zu bergen. Und siehe da: Ruhe im Schiff. Die schlank und hoch geschnittene Genua fräst sich durch den entgegenkommenden Wind und wir fahren immer noch über sechs Knoten gegenan.
Etwa eine Stunde vor Cuxhaven kentert die Tide wieder, diesmal in die für uns "richtige" Richtung. Wobei uns das ziemlich egal war den ganzen Tag über. Bei ganztags "richtiger" Tide wäre dieser wunderbare Segelritt viel zu früh im Zielhafen zu Ende gegangen.

 Markus über der Nordseekarte

Abb. 5: Markus über der Nordseekarte.

Die Wattinsel Neuwerk nordwestlich von Cuxhaven, schon draußen in der "richtigen" Nordsee, haben wir als Fahrtziel schon beim Hören des Wetterberichtes aufgegeben. Man stelle sich vor: Trockenfallen. Nachts um drei kriecht die Flut heran. Das Boot schwimmt auf und bei Windstärke acht heißt es lossegeln, hinein in ein stockdunkles Untiefenlabyrinth, über das der Sturm pfeift. Nein danke. Ist doch Urlaub. Oder?
In Cuxhaven festgemacht besuchen uns zwei unauffällige Herren. "Bundesschiffahrtsamt, Außenstelle Hamburg. Haben Sie ein Funkgerät an Bord?" Markus, im Berufsleben ein mit vielen Wassern gewaschener Anwalt, ist zu verdattert, um taktisch zu lügen. Brav suchen und präsentieren wir unser nur fraglich funktionsfähiges Handfunkgerät, das wir als Beruhigung für den wirklichen GAU ausgeliehen haben und mit uns führen. Brav hören wir uns die Ausführungen über das bloße "Führen" von Funkgeräten an Bord eines Schiffes, Sprechfunkzeugnisse, gesetzliche Bestimmungen und den Begriff der Ordnungswidrigkeit an. Und wohl wegen unserer tadellosen Bravheit mit artigem Nachfragen versprechen die Funkordnungshüter, sie hätten "das da" nicht gesehen. Angesichts unseres Jollenkreuzers und unserer Fahrtroute haben sie offenbar Verständnis für unsere Notausrüstung, die wir ohne ordentlichen Funkschein gar nicht "führen" dürften.

Ende Teil 1, die Fortsetzung, Teil II





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