Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut

Teil 9,


Log 13.6.-16.6.2001 Smalands Fahrwasser-Fakse Bugt-Cobenhavn-Falsterbo (Schweden)

Karte

Abb. 1: Was bisher geschah oder: auch Langschläfer kommen voran


Log 13.6.

Wieder so lang gepennt: 10 Uhr. Aber was läuft davon? Gut geschlafen ist auch gut gelebt. Gegen halb zwei Ablegen in Kalvehalve, auf mein Drängen hin unter Segeln. Muß üben, damit ich bezüglich Hafenmanöver nicht aus der Übung komme. Wär fast ein bißchen schiefgegangen: Mit Wind von vorn rückwärts aus der Box, bugseitig noch mal festgemacht, Segel hoch, Leine los (ausnahmsweise der Käptn selber vorn am Bug), und schon segelt die Kiste führerlos los, geradewegs Richtung Nachbarbox. Die verdammteGroßschot (Mister Lewmar!) hat die Schot wieder nicht reibungslos rauschen lassen und mit dem bisschen Druck im Segel gings gleich voran. Nun, ging alles gut, man hätte von außen beobachtet das Manöver auch sportlich knapp nennen können. Wieder was gelernt.

Weiteres Lernen dann im Fahrwasser zwischen Kalvehave und Faksebucht: Navigieren in engem Fahrwasser bei haarsträubenden Untiefen und endlosen Flachs links und rechts der Fahrrinne. Mehrfach zeigt das Echolot unseren Tiefgang von 1,60 m an und weniger. Daß wir keinen Grundkontakt gespürt haben, kann eigentlich nur an einem ungenauen Lot liegen oder an der Lage, die uns ein kräftiger Vierer aus der üblichen NW-Richtung von halb bis Raum beschert. Wir sind so sehr auf die Fahrwasserbezeichnungen angewiesen, daß echt Hektik aufkommt, wenn wir mal beim Tonnenabzählen uneins sind. Erstmals müssen wir unser Rennkrokodil bremsen, um wenn schon, dann nicht mit 7 Knoten aufzubrummen.

Faksebucht

Abb. 2: Faksebucht - der Bodensee ist die reinste Tiefsee dagegen


Draußen auf dem letzten Stück der engen Passage überholen wir einen Kielschwerter aus Deutschland mit zwei bartstoppeligen Jungmännern in Faserpelz und Pudelmütze an Bord. Kompliment für CROSSODIL vom anderen Schiff: Ein schönes Schiff, und auch schnell, was? Was für eine Frage, wir haben Euch gerade überholt! Und die Farbe des Rumpfes erst, wunderhübsch. Wir bedanken uns artig. Sind stolz. Dann schon wieder Gefahr der Seglerglückspsychose (dieser Urlaub erfordert wirklich einen stabilen Charakter, wenn man vor Seglerglück nicht überschnappen will): Bei Halbwind und 4 Bft. quer über die Fakse-Bucht auf Kurs 30 Grad nach RØdvig, Crossodil legt los mit den untertriebenen 5,5 Knoten des Bordlogs (schätze knapp 7), vernachlässigbare Welle, die aber dennoch nach zwei Stunden es schafft, mich an der Crossopinne in einen Schlummer zu wiegen. Aber an C.´s Pinne pennt man nicht lang, das weiß jeder, der es mal probiert hat.

Zu fast christlicher Zeit (halb sieben) Einlaufen in den wieder wunderhübsch in der Abendsonne sich präsentierenden Hafen von R.. Die Anleger werden immer reibungsloser. Ilona entwickelt hier total viel Eigeninitiative und Kompetenz. Nicht nur deswegen ein Jammer, daß sie in absehbarer Zeit von Bord gehen wird. Da bildet man die jungen Leute aus und dann...

Nachdem Stockholm als Fahrtziel für Ilona wohl Illusion bleiben wird, entschließen wir uns, das eine Tagesreise entfernte Copenhagen zu besuchen. Lichter der Großstadt, hoffentlich erschlägts uns nicht nach soviel Naturidyll!

Log 14.6.

Seezeichen

Abb. 3: Seehandbuch oder Witzblatt? Das Geheimnis der Seezeichen

Die Frage?

Abb. 4: Fragen z.B. an Segelschule Müller


Donnerstag nachmittag mitten in der Køge-Bucht, halbwegs zwischen Rødvig und Quartusgrund, dem Ansteuerungspunkt für Copenhagen. Noch etwa 8 Seemeilen. Von Südost trägt uns sanft ein 3er Wind. Mit Blister solo liegt die Fahrt bei etwa 5 Knoten. Dann, im Eingang zum eigentlichen Zufahrtsweg nach C: Untiefentonne West, Untiefentonne Ost, im Abstand von vielleicht 50-80 Meter, und dazwischen, ein Wrack, bzw. das was davon noch zu sehen ist: oberes Drittel eines Kuttermastes mit vertörntem Tauwerk. Ein Fall wie aus dem Lehrbuch, oder aus dem Witzblatt. Vom Grauen fasziniert befehle ich Wende und Hochkreuzen ganz nah an den Unglücksort und fotografiere, sozusagen zum Spannungsabbau, was das Zeug hält.
Wer war das? Der Sprössling mit Papas Kutter und besoffenen Freunden an Bord? Ein ganz gescheiter Einheimischer (direkte Wikingerabstammung), für den Seezeichen nicht gelten? Selbstmordversuch mit Traditionssegler? Wir werden es nie erfahren.

Der Schiffsverkehr wird dichter, je näher wir Cobenhavn Havn kommen. Auf dem Verkehrstrennungsweg etwa 1 SM steuerbord fahren in relativ dichter Folge Kümos, größere Frachter und ein strahlend weißes, relativ riesiges Kreuzfahrtschiff.

Big & small

Abb. 5: Big and small


Als Zeichen der näher kommenden Zivilisation auch die erste treibende Öltonne (grün mit weißem Streifen). Wollte gerade den um fünf fälligen Espresso brauen, da verläßt uns nach 4 Wochen high energy die Gasflasche. Schade, der Espresso war fast durch. Neuen Stoff in C. besorgen. Heute morgen beim ersten Versuch den Blister nicht hochgekriegt. Dabei warens noch nicht mal 4 Windstärken. Die Balance zwischen Druck im hochgezogenen Segel und dem entnervenden Knattern unter Entlastung nicht gekriegt. Jetzt ist das Ding oben, sieht prächtig aus und macht laut Meldung von der Crossopinne grade mehr als 6 Knoten. Neben dem Rauschen des Wassers außen am Rumpf ist jetzt vor allem Flugzeuggeräusch zu hören vom C. Airport, so alle 2 oder 3 Minuten startet einer.

Je näher wir der Dänen Hauptsatdt kommen, umso praller pulst der Verkehr: Nicht nur im Wasser mit immer mehr großen und größeren Dampfern, sondern auch in der Luft (Einflugschneise des Int. Airport kreuzt unsere eigene Anflugschneise). Dazu Eisenbahn am Ufer, Autos sowieso und auf dem Wasser eine Regatta mit mindestens 50 Booten. Links und rechts des Fahrwassers Windparks mit Dutzenden, gleichgültig und kalt rotierenden Windturbinen, rauchende Schlote, Schrotthalden, das pralle Leben, sozusagen. Wir sind fasziniert, durch so eine futuristisch-endzeitliche Umgebung auf unserem Naturmobil durchaus sportlich durchzukreuzen und verheizen jeder mindestens einen halben Film (Lieblingsmjotiv: die Jets im Landeanflug über dem perfekt getrimmten Segel, jeweils mit Leuchtturm und Windrädern im Hintergrund).

Flieger

Abb. 6: Nur Segeln ist schöner


Im Innenhafen angekommen enge Durchfahrt mit Wind gegenan. Ich tu Ilona den Gefallen und lase die Lappen runter. Und dann, oh Volvo, tuts der Diesel nicht. Orgelt wie mein erster Käfer im Winter, aber läuft nicht, wie er sollte. Sprit aus? Gibts nicht. Rainers Präzisionspegel zeigt "um und bei", wie die Fischköpfe zu sagen pflegen, 80%. Sollte genug sein. Mein Motorenverständnis ist damit am Ende. Arzt und Technik. Da liegen Welten...ach was!

Und heute morgen hatte ich noch in Allzufriedenheit gedacht: Wir haben Gas, Wasser, Strom, Diesel, Schnaps, es ist alles gut.
Halt! Da war doch noch was!
Der Totmacher! Und tatsächlich, der Motorausmacher ist in Ausmachstellung verklemmt. Irgendein jüngeres Mannschaftsmitglied muß ihn so gelassen haben. Egal, die Maschine brummt, weiter rein, in den Christianshavn, wo uns der Hafenführer "die perfekte Liegemöglichkeut, eine Atmosphäre wie in den Amsterdamer Grachten" verspricht.
Aber unsere Inselidyllen haben uns für den Charme der Großstadtboheme auf dem Wasser verdorben. Die Liegeplätze an der Straße lassen in mir Erinnerungen an Übernachtungen im ersten VW auf dem Parkplatz aufkommen und die Vorstadt-Grachten-Jungs (kaum Mädels) wirken auf mich rotgesichtigen Naturburschen eher beunruhigend. Was bisher unsere Stärke war, unsere erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Natur und unser sportliches Schiff wird hier imagemäßig zum Nachteil: Kuckt Euch die Landeier an!

Also, weil der Diesel schon so schön läuft, wieder 2 Kilometer raus in den alten Yachthafen der Stadt. "Hier liegen Sie in parkartiger Umgebung, wenngleich etwas unruhig durch die hier abgehenden Schnellfähren nach Schweden". Stimmt: "Etwas unruhig".

A propos Schnellfähren: Die Konstanzer Ratsherren sollten nicht nur sich selbst Besichtigungstouren nach Sidney zum Fährekucken spendieren, sondern wenigstens eine kleine Auswahl gemeiner Bürger nur hierher verfrachten, damit diese einmal mit eigenen Augen sehen können, was für einen Wahnsinn ein paar geld- und imagegeile Korrumpels aus der Provinzpolitik da auf unserem schönen See anrichten wollen.
Torpedos sag ich da nur, Treibminen!

Log 15.6.

Der Legionär

Abb. 7: La légion étrangère. Venez!


Soeben den radikalsten (Schläfen: 1mm, Scheitel: 7mm) und teuersten Haarschnitt meines bisherigen Lebens erhalten. Haargel mit Kokosaroma.

Der Däne sagt Du, zu jedem, außer zur Königin. Auch der Friseur zu mir: Ob "du" in Ägypten warst. Weil du so braun bist. Nee, Denmark, holidays, glaubt er aber nicht.

Kobenhavn lebt: Amis von den Kreuzfahrtschiffen, zu hunderten um die Meerjungfrau gedrängt. Die ihrerseits lächerlich klein ist.

Jungfrauen?

Abb. 8: Mehr Jungfrau!


Auf der Prachtmeile. Damer(dt.: Damen)! Frage nicht. Und blond. Fast alle. Und wie sie sich freuen, die Dänendamer und ihre Wikingermänner, daß fast Sommer ist, und auch bald Wochenende. Im Rosenslotpark Picknicks im Dutzend: Weißes Tischtuch, grün das Gras, grüne Schampusflaschen, Erdbeeren rot, Kleid der befeierten Examensstudenten schwarz.
Und der Dicke im Gras: Schokobraun die Haut, scneeweiß die Badehose, kopfwärts des Gebirges von Bauch lugt ein Zigarillo hervor. Recht so. Der Mann weiß zu leben.
Nebenan: Maxim Bar. Gogo girls. Fryaften (?, klingt nicht sehr appetitlich) strip tease. Water show (Schaumbad, geht schon eher).
2 Capuccino, 2 Erbeertörtchen kosten ein Vermögen. Egal. Es pulst, es lebt, und wir sind dabei. Ich schleppe schon den ganzen Tag blödsinnig die leere Gasflasche durch die schöne Stadt. Natürlich in meinem abgewetzten riesigen Rucksack. "You come from the mountain? Haha." Blödmann. Am Hafen längsseits die unanständigste Luxussegelyacht, die mir je untergekommen ist. Bierimperium?Öl?Rauschgift? Ex-Diktator (gibts die noch?)?.
Blondes Mädel pult Erbsen an Deck, in Plastikhandschuhen, damit dem Eigner nicht schlecht wird. Zwei Männer in Söckchen und weißgekleidet, auf den Knien, verzweifelt über unsichtbarer Auffälligkeit im Teakdeck brütend. So ists recht, Jungs. Schrubbt, ihr Hunde!
Zwei Beiboote, jedes so groß wie mein einziges Hauptboot. Egal. Jetzt ist jetzt. Und lieber rechtzeitig auf 7,75 m losgezogen, als auf dem Sparstrumpf entschlafen!

Das Schiff

Abb. 9: Schrubbt, ihr Hunde!


Log 16.6.

Morgens gleich mal verpennt. Fast Elf statt halb neun. Hat aber auch geregnet. Dann um bald zwei endlich los. Diesig, Nieseln, Kalt, Grau. Mit noch mäßigem Wind aus dem Haupthafen raus. Dann immer mehr abgestellt, noch dazu raumschots. Pling, Raschel, Plätscher, die ganze Kakophonie, dazu 0,5 Knoten. Das sind wirklich nicht die Nachmittage, für die man den ganzen Wahnsinn treibt. Aber, wie schon Monaco-Franze gesagt hat: A bisserl was geht immer: Und so werde ich kurz vor Sportschau-Zeit mit dem Segelsport versöhnt durch Halbwindrauschefahrt bis 7 Knoten bei West 4 über die letzten 3 oder 4 Meilen. Anlegen vor Klappbrücke Falsterbøkanal. Einsamer Yachthafen. Festmachen. Sprung auf den Steg. Schweden. Zur Feier der Einreise Bootsputz außen, war echt grau und nötig. Zum Abendessen Kalbsgeschnetzeltes an Curryrahm, Basmati Reis, Frieseesalat, zum Dessert Ritter Sport Kokos und Baileys.


Nachtrag Log 17.6., Schwedensex

Warum ich immer an Schwedensex denken muß: Also nicht wegen der paar Schweden, die ich seit meiner Einreise zu Gesicht bekommen habe. Die Männer sehen aus wie überall und lassen eher an Bier und TV denken als an Triebe. Die einzige Schwedin hier im Hafen kommt für Sex bzw. diesbezügliche Gedanken auch nicht in Frage. Nein, es ist in meiner Kindheit und frühen Jugend geschehen, daß die Begriffe Schweden und Sex so unauflöslich für mich verbunden wurden.
Das Deutschland der sechziger Jahre begann gerade, sich unter kundiger (Oswalt Kolle) und geschäftstüchtiger (Beate Uhse) Anleitung von ersten Restriktionen in Sachen Geschlechtsleben zu lösen. Weil alles, was schwierig erscheint, mit Hilfe von außen zumindest von der eigenen Wahrnehmung her leichter zu bewältigen ist, nahm sich das nach Selbtbefreiung dürstende Deutschland die angeblich vollkommen tabulosen Schweden zum Vorbild. Man wußte nicht viel von denen, und das bißchen, was man zum Beipiel von Ingmar Bergman kannte, genügte, um die Phantasie anzuregen und Projektionen jeden Intensitätsgrades zuzulassen. Dazu kamen (für mich persönlich) ein paar als "Ferienprospekte" getarnte Fotoheftchen von (angeblich) schwedischen FKK-Stränden, und schon war die Schwedenorgie im Kopf fertig.

Das, und nur das, ist der Grund, warum ich seit meiner Einreise nach Schweden am 16.6. um ca. 19 Uhr immer an Sex denken muß.

Ende Teil 9, die Fortsetzung, Teil 10




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