Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut

Teil 7,


Log 7.6.

Eigentlich darf man es gar niemandem erzählen. Trotzdem: Das Wetter hatte gestern Westwind 5-6 vorhergesagt. Heute morgen blies es dann schon so kräftig, daß wir uns entschlossen, nicht ohne aktuelle Windvorhersage loszufahren. Bedeutete zwar 11:05 abwarten, aber dem Biorhythmus des Müßiggängers kommt jede Entschleunigung entgegen. Dann tönt es mitleidslos aus dem Bordradio: West 6, "vorübergehend" 7, abends abflauend 5. Oh jeh, was tun? Bei angesagten 6 Bft nicht mehr ohne Not auszulaufen ist Seemannsbrauch nicht nur am Bodensee (wenngleich ich mich auch schon am Bodensee der einen oder anderen Verletzung dieser Regel schuldig gemacht habe).
Nachdem das Kroko auch für Bodenseeverhältnisse ein rankes Schiff ist, sollte der Tagesplan eigentlich klar sein. In der Schlei bleiben, wenn machbar ein bißchen hin- und hersegeln, die Maritim-Binnenatmosphäre auf der geschützten Schlei genießen. Aber nein: Wohl weil ich schon zu lange (was heißt das schon) die "große" Abreise verschoben habe, drängt es mich, die Überfahrt nach Dänemark, ins Ausland, in die große weite Semannswelt anzutreten.
Nur los, hinaus! Trügerischerweise weht in der Landabdeckung der Schleimündung ein nur mäßiger Wind und mit der vorsichtshalber gleich aufgezogenen Sturmfock fühlen wir uns überlegen und sicher (weiß gar nicht, was die haben, alles easy, oder?). Zudem kommt beim Passieren von Schleimünde die Sonne heraus, der Wind bläst mit höchtens 4 und es scheint alles prima (gut, daß wir nicht auf den blöden Wetterbericht gehört haben, dann könnte man ja gleich immer daheim bleiben). Ich werde sogar keck und setze das (zweifach gereffte) Groß: Gute Fahrt (Bordlog 5, GPS 7,5 Knoten), günstiger Kurs (Raum) und kleine Welle (1 SM vom Land).
Wie die Fahrt dann spürbar flotter wird (und die Segel mehr und mehr Konzentration erfordern), bitte ich Ilona, doch mit dem GPS noch mal die Position und den aktuellen Kurs nach Bagenkop, dem ausgesuchten Tagesziel auf Langeland zu bestimmen. Sie reagiert schon ungewohnt träge und wie sie es ablehnt, irgendwas unter Deck zu holen, ist klar, daß die Seekrankheit wieder ein Opfer gesucht und gefunden hat.

ZUM VERGRÖSSERN ANKLICKEN

Der Wind frischt weiter auf. Wieder und wieder versucht das aufgepowerte Crossodil anzuluven. In den Luvphasen, die meist bis etwa Halbwind gehen, wird fühlbar, wieviel Energie wirklich in der Luft liegt. Es gurgelt unter dem Heck und bei forcierten Ruderbewegungen quirlt das Wasser so wie es eben quirlt, wenn ein mächtiger Krokodilschwanz das Wasser peitscht. Von der inzwischen noch schweigsamer gewordenen Ilona kommt auf wiederholtes Befragen noch die Auskunft, das GPS zeige jetzt 10 Knoten an, jetzt 10,5, es werde schneller... An der Pinne kriege ich bei aller Freude an den Elementen jetzt doch auch Respekt.

ZUM VERGRÖSSERN ANKLICKEN

Das Groß muß weg. Hatte ja schon Marty per mail in einer Fachsimpelei wissen lassen, aber bei der Abfahrt waren es eben keine 7, sonder 4-5 Windstärken gewesen. Ohne Groß und nur mit dem kleinen Lendenschurz von Sturmfock ist erst mal der Streß mit unfreiwilligem Indenwindgehen oder, bei achterlichem Wind und oft starken Drehbewegungen auf den Wellenkämmen, einer Patenthalse weg. Dafür wird der Wind weiter stärker. "Wenn das Wasser fliegt, haben wir 8", hat Marty gesagt, und es fliegt immer wieder während einiger Minuten, das Wasser. Und die Wellen werden höher. Und Ilona stiller, bis sie den Kopf übers Heck hängt (voll nach Luv), von wo sie nur noch selten zurückkommt. Sie redet nicht, stöhnt höchstens vor sich hin, windet sich, wenn sich das Schiff auf einem Wellenkamm wieder heftig dreht und leidet. Ich leide mit, mache mir Vorwürfe wegen der schwachsinnigen Entscheidung, trotz eindeutiger Wettervorhersage ausgelaufen zu sein. Aber das muß ich mir für später aufheben, zusammen mit den guten Besserungsvorsätzen ("Nie wieder, wenn...). Jetzt muß der Kahn und seine Besatzung erst mal in den nächsten geschützten Hafen. Und der liegt in Marstal, auch wenn ich dort schon drei mal war, zuletzt vor etwas über einer Woche.
Noch endlose 10 Seemeilen auf Kurs 60 Grad. Ilona wird apathisch, hängt schlaff in meinem rechten Arm, mit der linken Hand steuere ich. Wir sind beide angeleint. Ich damit ich nicht beim Hantieren über Bord kippe, Ilona, damit sie sich in ihrem Elend nicht einfach in die Fluten gleiten lässt. Ich registriere beglückt, daß bei mir nicht ein Hauch von Übelkeit aufkommt, das tät uns ja noch fehlen, daß ich auch aussteige. Phasenweise legt der Wind immer wieder auf 8 zu, das Log zeigt "um und bei" (wie meine Flensburger Freunde so zu sagen pflegen) 5 Knoten (plus 2-3 wegen immer noch fehlerhafter Einstellung), die Wellen sind von Berg zu Tal bis 3 Meter hoch (für den, der Seglerlatein vermutet: der Seewetterbericht bestätigt meine Einschätzung am nächsten Morgen).
Das Crossodil selbst scheint unbeeindruckt. Folgt brav den Ruderbewegungen, egal ob die nun optimal sind oder eher weniger. Aus der Kajüte tönt aus Richtung der Pantry ein munteres Klirr- und Klapperkonzert. Marstal scheint erst gar nicht, dann endlos langsam näher zu kommen. Wäre nicht die entsetzlich leidende Ilona, ich würde das Abenteuer streckenweise genießen. Die See scheint zu sagen: Junge, ich zeig Dir heute, wie ich wirklich bin, aber ich tu Dir erst mal nicht richtig weh. Mit dem Wildwasser verglichen: Wasserwucht 5-6 bei klarem Wasser und Sonne, wo man vom Hinschauen erst mal auch keine Angst kriegt und erst mitten drin merkt, was los ist.
Schließlich liegt Marstal nur noch etwas über eine Meile voraus. Fieberhaft suche ich nach der rotweißen Ansteuerungstonne des engen Fahrwassers. Jetzt bloß nicht auf Grund laufen. Schließlich sehe ich sie wie einen Angelkorken grad voraus auf und ab tanzen und bin erleichtert. Noch 5 Minuten und wir erreichen die Landabdeckung und noch mal 5 Minuten und Ilona kommt sichtlich zu sich. Kann sogar wieder kurz das Steuer nehmen, damit ich das Vorsegel bergen und Fender und Leinen vorbereiten kann. Wir finden einen Liegeplatz im Windschutz einer älteren Motoryacht (wie im Film "Schtonk"), mit Laufleine in Luv, ein glatter Anleger trotz starkem Wind von der Seite. Klar Schiff, umziehen, Ruhepause. Ilona erholt sich rasch, sie greift zum Pfefferminztee, ich zu Espresso mit einem guten Schuß Rum.

ZUM VERGRÖSSERN ANKLICKEN

Glück gehabt, und ich bin dankbar dafür. Meine Phantasien wandern jetzt immer wieder zu der Motoryacht nebenan: Auf Europas Binnenwasserstraßen reisen, ab und zu jobben, Landausflüge zu Fuß und mit dem Fahrrad, Kochen, Essen, Trinken, Lesen, Schreiben. Ich ahne jetzt, was mit dem Weltumsegler Rollo Gebhart passiert ist, der die Langfahrtsegelyacht gegen ein Flußreiseschiff und die Wasserwüsten der großen Meere gegen Binnenreviere eingetauscht hat und jetzt statt Segellogs ("...am nächsten Tag immer noch Sturm, noch 23 Tage bis Antigua, Wasser überall in der Kajüte...) Reiseberichte über Flußfahrten abdrückt (...am Spätnachmittag erreichten wir Dijon. In der Stadt erstanden wir ein frisches Bressehuhn, Marktgemüse und zwei Flaschen des herrlichen Rotweins, der hier produziert wird...).

Heute ist erst mal Ruhetag mit Spazieren, Einkauf (Marktgemüse), Kleinreparatur (D2 im Rigg stb lose, Drahtgurtung am Mastkragen "beißt" die Fock beim Wenden).

Ende Teil 7, die Fortsetzung, Teil 8




nach oben zum Seitenanfang

zurück zur Touring-Seite

zurück zur Startseite