Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut

15. Teil: CANALE GRANDE


30.7. Gestern ist Peter an Bord gekommen, noch ein bisschen blass um die Nase von Arbeit und Anreise. Er hat, schön vom Metzger in Deutschland eingeschweißt, vier pfannkuchengroße Rindersteaks mitgebracht, "vom Charolais-Rind", wie er bzw. der Metzger seines Vertrauens versichert.
Ich möchte nicht wissen, was das aus Deutschland raus- und ins angeblich BSE-freie Schweden reingeschmuggelte Rindfleisch für Peters Weiterreise bedeutet hätte, wäre es am Zoll in Stockholm entdeckt worden. Das letzte Exemplar einer aussterbenden Tierart wäre ihm wahrscheinlich eher verziehen worden als ausgerechnet Rindfleisch aus Deutschland in diesem BSE-geprägten August 2001.
Mitgebracht hat Pedro auch eine Sammlung fotokopierter Rezepte sowie, unverzichtbar, seinen ostwestfälischen Humor.

New crew

Abb.1: New crew


Der erste Kanaltag liegt hinter uns. Unser Liegeplatz: In 50 Metern Entfernung quert die Haupteisenbahnlinie Göteborg-Stockholm den Götakanal auf einer stählernen Brücke, und alle 2 Minuten donnert ein 2 Kilometer langer Güterzug darüber. Mit etwas Glück folgt gelegentlich ein nur halb so langer Personenzug. Die Züge werden jedes Mal von aufgeregtem Glockenschlag angekündigt. Die Glocke soll die Sicherheit des Binnenschiffers auf dem Weg zum Klo garantieren, da der Sanitärbereich auf der anderen Seite der Geleise liegt.

Das Frühstück ist beendet. Freund Peter und ich kucken in die Sonne und rauchen. Eilig haben wir es wieder nicht. Es bläst ein recht kräftiger Wind, und auch wenn man es nicht glaubt, der Wind macht unserem Schiff in den engen Schleusen und Kanalstrecken mehr zu schaffen als im freien Wasser unter Segeln. Hochbordig und leicht wie sie ist, fährt die Kiste bei jeder kleinen 7er Böe einfach seitlich davon, und in Kanälen, da ist die nächste Betonwand nie weit. Jedenfalls habe ich gestern Abend nach dem Anlegen mit fast gebrochenem Herzen wieder ein paar Schönheitspflaster an den Bug geklebt, zur Bedeckung der grässlichen Wunden im sonst tiefgrün schimmernden Lack.
"But, if you are afraid of that, you `ve got to stay at home" hat der Holländer vom Nachbarboot gesagt, mitfühlend, der gute Kerl.
Binnenschifffahrt verläuft mit einem ganz anderen Fahrtengefühl als das Reisen auf dem Meer. Der Aufbruch vom Frühstück zur Marschfahrt erfolgt sozusagen "gleitend". Bei der Abfahrt muss nichts so richtig verstaut oder festgezurrt werden, sogar die Trinkflasche (Melon-Citron) kann aufrecht auf dem Frühstückstisch stehen bleiben. Die Zahnbürste noch in die Backe geklemmt wirft man den Diesel an, die Leinen los und fährt. Wenn der Stress in den Schleusen nicht wäre, man könnte glatt von Erholungsurlaub sprechen. Gestern haben wir 6 oder 7 Schleusen hinter uns gebracht. Im Prinzip haben wir den Ablauf gut im Griff. Peter springt in langsamer Vorbeifahrt im Schleuseneingang an Land, die lange Bugleine schon in der Hand. Dann in Höhe des Heckliegepunktes Übernahme der Achterleine, Leinen über die Ringe am Ufer werfen, unteres (hinteres) Schleusentor zu, Wassereinlass oben auf, los geht's. Es gurgelt und sprudelt wie in alten Kanutagen. Und da fängt der Stress an: Das Boot tanzt und schlingert, will sich an der haushohen Schleusenwand reiben, die Seereling kratzt im Beton, biegt sich, grauenvoll. Vier Fender sind so gut wie keiner. Neue gibt's in den winzigen Dörfern an der Strecke bislang nicht zu kaufen. Ich hatte schon überlegt aus Not zu klauen, aber "da sprechen die schwedischen Polizisten plötzlich kein Wort Englisch mehr", meint Peter.

Schleusen

Abb. 2: Schleusen


Am Festmacher an der Eisenbahnbrücke haben wir uns noch das Holländerschiff angekuckt: Ein Fuß länger und Klassen mehr Wohnkomfort. "It's a completely different philosophy" sagen Peter und Adrian im Chor.

Log 31.7.

Nach der Karte sollte heute schleusenfrei sein. Der erste größere See liegt vor uns. Auch heute Morgen weht wieder frischer bis starker Wind schon im Landschutz. Wir fahren im Tonnenstrich erst mal unter Motor, der sich genau gegenan bei ca. 6 Bft. mit Welle auch ganz schön in Zeug legen muss. Zur "Stabilisierung" (meines seglerischen inneren Gleichgewichts, weil ich längeres Motoren eigentlich hasse) habe ich die Sturmfock aufgezogen. Bei geringem Abfallen vom direkten Gegenankurs kommt von dem kleinen Lappen außer mehr Fahrtstabilität in der Welle glatt ein Knoten Fahrt dazu. Wir überholen eine kleine Yacht mit einem deutschem Pärchen an Bord (Friendship 21), das sich mit einem kleinen Außenborder abquält. Als der Roxen-See sich öffnet und ich Zeit genug gehabt habe, mir alles gut zu überlegen, ziehe ich das zweifach gereffte Groß hoch.
Es geht wunderbar. Nicht zuviel Lage, gute Fahrt zwischen 4,5 und 5,5 Knoten. Es ist eine Pracht. Die Welle ist zwischen 0,5 und 1 Meter hoch, die Abstände zwischen den Wellenkämmen betragen nur eine halbe Bootslänge. Entsprechend heftig kracht das Vorschiff auch gelegentlich in die Welle und zum ersten Mal auf der Reise kommt von vorn richtig Wasser über. Peter schaut erst etwas skeptisch, ich frage besorgt, ob ihm schlecht wird, er verneint glücklicherweise, steuert, gewinnt sichtlich Zutrauen und scheint das Steuern auch zu genießen. Ich genieße sowieso, Wind zum Abwinken und die Kiste hält sich wieder prächtig. Am Seeende angekommen unterläuft uns ein kleiner Navigationsirrtum (nach "Gefühl" gesteuert): Die Stadt am Ufer ist das sicherlich schöne, jedoch überhaupt nicht auf unserer Route befindliche Linköping, nicht die Kanalweiterfahrt mit dem ominösen Namen Berg.
Berg, das wir dann auch ganz rasch finden, verdient seinen Namen: Gleich hinter dem Gästesteg steigt eine irgendwie nicht von dieser Welt scheinende Treppe mit 6 Schleusenkammern in Folge an, droben wartet ein kleiner Teich zum Verschnaufen und danach folgt eine weitere Schleusentreppe. Das wird Arbeit morgen. Und Fender gibt's hier auch keine, wenigstens nicht zu kaufen.
Nach einem abendlichen Bad im See nehmen wir unseren Apéro auf dem Achterdeck. Eben kommt praktisch in Greifweite ein Passagierflussdampfer aus der untersten Schleusenstufe heraus und macht gegenüber am Kai fest. Die Dampfer, denen man auf dem Kanal begegnet, sind Schiffe aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert, zweistöckig, Deckskabinen mit Aussicht, im oberen Stockwerk der Salon, livrierte Stewards, Nostalgie echt und pur.

Flussdampfer

Abb. 3: Flussdampfer


Auf dem Nachbarboot wird das Abendessen zubereitet: Vier junge Schweden sitzen im Cockpit und schneiden eine riesige, glatte Fleischwurst in einen Topf. Peter fühlt sich an etwas erinnert, was man im Ostwestfälischen offenbar "Pferderiemen" nennt. Na, mit Dosenbier wird´s schon runtergehen.
Peter fängt zu kochen an: Avocado mit Shrimps und einer Vinaigrette, dazu geröstetes Weißbrot, dann die zweite Hälfte der mitgebrachten Riesenportion Rumpsteaks (vom Charolais-Rind!) in Dijon-Senf-Sahne-Sauce mit Reis, Wein, von dem wir im letzten Alkohol-Shop in Söderköping eine anständige Portion gebunkert haben. Es ist alles so schön!

Vor 2 Stunden sind wir noch geschwommen, jetzt sitzen wir im Faserpelz, nordischer Spätsommer.

Am Kai gegenüber ist ein LKW vorgefahren, Tankbehälter auf dem Buckel. Fahrer und Begleiter legen einen dickwandigen Schlauch an, hängen ihn über die Kaimauer und stellen eine Pumpe an. Grauglitschiges Zeug ergießt sich ins Hafenbecken. "Die pumpen Scheiße ab!" entsetzt sich Peter. Die "Scheiße" beginnt zu zappeln, hüpft und windet sich auf dem Weg ins Wasser. Es sind Fische, tausende, am ehesten kleine Aale, die da als Anglernachschub ausgesetzt werden.

Habe Peter heute erzählt, dass ich morgens im Waschhaus IN DER DUSCHE KLEINE JUNGS VOM NACHBARSCHIFF ANGESPROCHEN habe, was im Klartext nichts Schlimmeres bedeutet, als dass ich mit ein paar deutschen Pimpfen im Dampf des Waschhauses ein paar Worte über die zurückliegenden Schleusen gewechselt habe.
Mein Gott, was muss ich mir da jetzt alles anhören. Das hört bis zum Ende unserer gemeinsamen Fahrt nicht mehr auf mit den Ermahnungen, wenn ich mal wieder zum Klo aufbreche.

Log 1.8.

Berg

Abb. 4: Berg


Etappe Berg-Bohrensberg: 7 Stunden für knapp 3 Seemeilen, dafür anständig Höhe(nmeter) herausgesegelt. Zum Auftakt gab es wie am Vorabend schon befürchtet, echte Arbeit: Eine unglaubliche Schleusentreppe wollte in Handarbeit überwunden sein, etwa 30 Meter Niveauunterschied, 6 Kammern, gleich danach gefolgt von noch einem Viererpack, weil's so gut ging. Gut gegangen ist es dann nämlich, wenigstens einigermaßen. Auch wenn ich in der ersten Schleusenkammer gleich dem schwedischen Stahlkübel vor uns in den Heckspiegel gebrummt bin. Diesmal hat es präzise den Bugbeschlag des Crossodil erwischt, auch aus Edelstahl, wie der Schwedenkübel. Zur Erinnerung bleibt eine kleine Kerbe, die für mich unter Patina läuft, nicht unter Schaden. Einmal hat der Rumpf ganz hässlich geächzt, als die Strömung das Krokodilspaket, zwar heftig abgefendert, aber doch mit Druck an die Schleusenwand gepresst hat.
Jetzt wo wir mitten drin bin sind, ist es halt wie es ist. Da gibt's nur weiterschleusen und versuchen, allzu viele Schäden zu vermeiden. Mit der täglichen Übung läuft alles auch zunehmend besser. Meine wichtigste Lehre an der zur Bugleinenkurbel umfunktionierten Fockwinsch bisher: Eben nicht dichtholen wie wild, wenn der Bug im Schleusenstrudel auszuwandern beginnt. Nur ganz sanft die Lose rausnehmen, drauf achten, dass die Achterleine Zug behält, nicht gegen die Kraft des Wassers zu kämpfen versuchen, dann fängt der Tanz vorneran-hintenran gar nicht erst an. Einem empfindlichen Neueigner eines Leichtbau-Cruiser-Racers kann ich die Kanalfahrerei ohnehin nur bedingt empfehlen. Wenngleich einem dann auch etwas Besonderes entgeht: Ferienland pur. Radler, Spaziergänger, Badende, alles ruhig, heiter, entspannt, gelassen. Es ist ein bisschen wie Kinderzeit, ideale Welt, heile Welt.

In Bohrensberg machen wir längsseits am Holzkai fest, noch im Kanal, kurz vor der Mündung in den nächsten See. Wenn der Wind hält, gibt's morgen einen prima Segeltag bis Motala.
Ich entdecke (wieder): Ich bin ein Süßwassermatrose. Ich schwimme gern in Süßwasser, gieße gern Süßwasser übers Deck, freue mich über die Nähe zum bewohnten Land und genieße es, frei zu sein von der latenten Daueranspannung auf See. Peter genießt ebenfalls: Kann's irgendwo schöner sein?
Mit ihm kann man kochen. Heute Vorspeisensalat, Chiabatta, dann Lachs auf Lauchgemüse, Kartoffeln, Orvieto.

Was mich noch mal wahnsinnig macht auf diesem Kahn: Dass der Stöpsel in der Spüle um nur einen Hauch zu locker sitzt, und dann, wenn mühsam erhitztes Wasser das dreckige Geschirr bedeckt, heimlich und heimtückisch unten rausgeht und die Spüle leer ist, bevor man sich wie rasend nach unten durchs Geschirr zum Stöpsel durchgearbeitet hat.

Log 2.8.

Borensberg-Motala. Es beginnt mit einer schönen, ach was, wunderschönen Seestrecke. Spiegelglattes Wasser, grüne unbebaute Ufer, Schilf, eine leichte Brise von vorn. Wir kreuzen, langsam, geräuschlos.
Nach einer Stunde frischt der Wind auf, 3-4 Windstärken, jetzt läufts auch noch. Segeln kann so schön sein.
Das Pärchen auf der Friendship ist etwa eine Stunde vor uns losgezogen. Nach der halben Seestrecke haben wir sie eingeholt. Geschwindigkeit, dem Motorsportler sei es gesagt, kann auch bei Unterschieden von 1 km/h oder weniger Spaß machen. Das Überholen tut mir wieder fast Leid, weil die beiden sich im Gespräch in den Schleusen und am Steg als sehr nett herausgestellt haben. Der Skipper ist etwas jünger als ich, hat ebenfalls ein halbes Jahr Auszeit genommen, bevor er im Herbst wieder in den ganz gewöhnlichen Wahnsinn einer rheinländischen Softwarefirma zurückkehren möchte. Ob seine nicht unattraktive Begleiterin nun seine "Freundin" ist oder "einfach so" mitfährt, kriegen wir trotz unserer Neugierde bis zum Schluss nicht heraus.
Nicht Leid tut's mir bzw. mörderische Freude verschafft mir, dass die stolze Yacht "B." aus Flensburg einfach nicht aufholt. Länge läuft? Manchmal halt doch nicht. Warum die Schadenfreude? Nun, am Seeende angekommen wartet wieder eine riesige 6er-Kombination von Schleusentreppe. Unten warten etwa 8 Schiffe, darunter auch wir und dann "B". Keiner weiß so richtig, wann und in welcher Abfolge und Position in der Schleuse es losgehen soll. Nur "Sabine" weiß es (Peter hat die Befehlshaberin von B. so getauft): "Wir fahren als erste!" tönt es zur Herstellung der Hackordnung wiederholt und laut und auf Hochdeutsch übers Wasser.

Um die voraussichtlich 2 Stunden Wartezeit zu überbrücken (gerade befindet sich ein Rudel Schiffe im mühsamen Abstieg) nehme ich ein Bad im See. 20 Meter vom Ufer schwimmt ein hübsches gelbes Holzhäuschen auf einem Schwimmsteg im Wasser.

Beste Sauna der Welt. Definitiv.

Abb. 5: Beste Sauna der Welt. Definitiv.


Es sieht aus wie eine Sauna, es ist eine Sauna, und da hängt doch auch noch die Gasthafenflagge der Kanalgesellschaft dran. Nichts wie rein! In der Schwitzkammer bullert ein Holzofen, Temperatur laut Thermometer 65 Grad. Um trotzdem ein bisschen was zu spüren, löffeln die drin schon saunierenden Schweden laufend Wasser auf die glühend heißen Steine auf dem Ofen. Und wie das wirkt! Atmen durch die Nase geht nur bei vorgehaltener Hand. Und dann ist keine Hand mehr frei für die glühendheißen Ohren. Erlösung verschafft ein Köpfer ins kühle Seewasser.
Drinnen schaukelt dann die ganze Saunabude wie ein Schiff, wenn wieder einer außenbords hüpft. Eine bessere Sauna habe ich noch nicht gehabt.

In der Schleuse: Immer noch Wahnsinn, aber kontrollierter Wahn. Mit dem neuen Fenderbrett (Treibholz), der inzwischen durch learning by doing gewonnenen Erfahrung und gnädigerweise ohne Wind bleibt die Außenhaut ohne neue Schrammen. Am Schleusenufer lagern hunderte Schaulustige, Urlauber, die helfen wollen, einen an der gern auch ohne Aufforderung übernommenen Leine hurtig weiterzurren wollen und nicht ahnen, dass der Skipper drunten, ohne steuerfähige Fahrt, Blut und Wasser schwitzt, gezerrt von den hilfswilligen Menschen.

Im Kanalführer steht: Der Kanal sei gebaut worden, um die Industriestadt Motala verkehrsmäßig zu erschließen und neue Erwerbsmöglichkeiten zu öffnen. Heute und inzwischen aber sei eine der Haupterwerbsquellen für Motala der technische Unterhalt des Kanals. Das erinnert doch stark an das berühmte "Parkinson-Prinzip", welches den Vorgang beschreibt, wie eine Institution oder Behörde zu einem umschriebenen Zweck gegründet wird, und wie sie sich unabänderlich immer mehr der Selbstorganisation und sich selbst widmet, bis sie endlich ausschliesslich mit Selbstverwaltung beschäftigt ist und allein aus ihrer Existenz und eben der Beschäftigung mit sich selbst ihre Daseinsberechtigung bezieht.

Der Sommer: Fühlt sich an wie ein prächtiger Septemberanfang bei uns im Süden. In der Sonne ist es schön warm, tags ist Badewetter, abends sitzen wir dann im Faserpelz und essen unter Deck, weil die lauen Sommernächte offenbar vorbei sind. Gestern sahen wir einen riesigen Schwarm Stare, die sich zum Flug nach Süden sammelten. Das Jahr geht weiter.

Log 3.8.

Motala: So voll mit Betriebsstoff war der Kahn noch nie: Diesel bis zum Kragen, die Kanister voll, Wasser und Sprit für die Herren an Bord. Dazu eine Volvo-Inspektion mit Wechsel von Motoröl und Ölfilter (viel Gefluche der Mechaniker, weil angeblich alles so eng ist, ging dann aber doch ohne grössere Ölschweinerei). Wir erwerben legal 2 zusätzliche Fender sowie 2 Schnappkarabiner für Groß- und Fockfall. Die nehmen mir die Angst, dass die Fallen in den Masttop rauschen können, wenn mir mal eins auskommt (auch wenn die Cross-Leute abgeraten hatten unter warnendem Verweis auf die durch die Einknotung verminderte Bruchlast).

Den Rest des Nachmittags verbringen wir mit Lesen, Kaffee und Keksen, kleinem seemännischen Reparaturgefummel, Wäschewaschen.
Das Wetter hat umgeschlagen. Wolken aus Westen, mittlerer Wind und kühlere Temperaturen. Der prächtige Spät-Hochsommer der letzten Tage scheint erst mal vorbei zu sein.
Peter will heute seine berühmten Schinkennudeln in Sahnesauce kochen. Eine bestimmte Nudelsorte aus Italien musste her ("Barelli" oder so), Salat, Krabben zur Vorspeise, Erdbeeren mit Vanillesauce danach.
Allmählich spüre ich, wie die Restzeit meiner Reise und damit meines sorgenfreien Traums kürzer wird. Mit Peter, der der perfekte Begleiter für mich ist, werde ich noch 3 oder 4 Kanaltage haben, den Rest der Zeit bis zum Abmustern am 12.8. werden wir auf dem Vännern-See segeln. Dann kommt ein "Neuer", der mich auf den 80 km Trollhättan-Kanal und möglichst übers Kattegatt begleiten wird. Henning, der Mann für die letzte Etappe, hat abgesagt. Sommer in Allensbach am Bodensee sei auch schön, sagt er

. Am Abend in der Bierbar am Hafen spricht uns ein (fast) einheimischer Inder an. Schwärmt den Touristen zunächst pflichtgemäß von der Schönheit der Natur und dem Liebreiz der Menschen. Mit zunehmender Erzähldauer und steigendem Bierpegel wird das vorab gepriesene Motala (zumindest im Winter) zum "absolutely fucking place" ("…ääouudlivaggginnples!...").

Log 4.8.

Gegen neun Uhr wachen wir zum Geheule des Winds im Rigg auf. Regenschauer, "Schauerböen". Nach ausgedehntem Frühstück und Anhören des Seewetterberichtes aus Deutschland (5 Bft. SW) und Abgleich mit dem schwedischen Bericht (6-8, aber was? m/s oder Bft.?) finden wir nicht den Mumm, die Sachen zu packen und uns der "sportlichen Herausforderung" zu stellen. Natürlich wär's gegangen, 2 Reffs, Sturmfock, aber uns fehlt der nötige Biss. Das Alternativprogramm: Museen, vielleicht ins Kino mit einem englischsprachigem Film.
Motala kennt jeder vor 1960 geborene Mitteleuropäer als extra bezeichnete Kurzwellen-Station auf den großen Röhren-Radios in den Küchen und Wohnzimmern der Kindheit. Darum hat Motala auch ein Radio-Museum: Viel alte Technik, monströse Röhren, riesige, für die Ewigkeit gebaute Messgeräte, Handregler, die sich nach schwerer Präzisionsmechanik anfühlen. Die Erbauer haben damals noch nicht mit einer kurzen Halbwertszeit ihrer Technik rechnen müssen. Als würde die Zeit nach der erfolgten Installation nie mehr fortschreiten, was sie damals für eine begrenzte Zeit wohl tatsächlich auch nicht getan hat.
Der einzige sprachlich für uns verständliche Film im Kino am Abend: Pearl Harbour in englischer Originalfassung. Beim Dosenbier danach frage ich mich, was dieser grausige Kriegswerbefilm mit diesem eigentlich ja historischen Thema ausgerechnet jetzt in den Kinos der Welt soll.

Nachts wache ich einmal auf und weiss momentan nicht, wo wir uns mit unserem Schiff gerade befinden. Kann es sein, dass wir in Fahrt sind und uns, als wir müde waren, einfach hingelegt haben? Oder sind wir in einem Hafen? Und wenn, dann wo? Klarheit und Realitätsbezug schafft erst der Blick aus dem Vorluk: Eindeutig festgemacht. Eindeutig Motala. Die Bierbar hat schon geschlossen.

Log 5.8.

Wir haben eine raue Überfahrt von Motala quer über den Vättern nach Karlsborg. Wind 6 Bft. gegenan, Welle 1 Meter, gnädigerweise ist alles sonnenbeschienen, sodass sich der Respekt vor Wind und Welle in vernünftigen Grenzen hält. Die ersten 2/3 des Weges fahren wir mit Sturmfock und 2 Reffs im Groß, dann im beginnenden Landschutz des gegenüberliegenden Westufers wieder die normale Fock. Am Wind machen wir meist etwa 5-6 Knoten, mit dem normalen Vorsegel auch mal 7 und mehr. Peter wird inmitten der Wellen still, sagt, ihm sei "flau". Es bessert sich, als er steuert. Beinahe wieder ein Opfer der Seekrankheit, und das im Süßwasser!

Vännern Überfahrt

Vännern Überfahrt

Abb. 6,7: Vännern Überfahrt


Heute ging leider zuviel gleichzeitig kaputt: Der Akku und die Speicherkarte in meinem Communicator (den ich am Vortag beim Klarschiff leider aus Versehen mit dem Schlauch abgespritzt habe) verweigern den Dienst, den Kompass habe ich bei einem ungeschickten Manöver mit dem Knie in seine Halterung an der Schottwand reingedrückt, die Pantryschublade fliegt bei Lage raus. Da müssen wir jetzt ganz tief durchatmen...

Log 6.8.

Heute war Maschinen-Tag: 25 SM unter Motor. Zuerst ging es durch langgestreckte, verwinkelt, schlauchförmig gewundene Binnenseen mit großartiger Wildnis am Ufer, dann durch den Kanal, mal eng, mal breit, viele Brücken, schließlich die erste Abwärtsschleuse. Abwärtsschleusen ist viel stressärmer als Aufwärtsschleusen. Das Wasser sinkt einfach ruhig in der Schleusenkammer unter dem Schiff weg. Kein Gegurgle, keine Strömung, kein wild tanzendes Vorschiff.

Pedro träumt von einem 280-PS-Innenborder von Volvo

Abb. 8: Pedro träumt von einem 280-PS-Innenborder von Volvo


Auf den letzten Kilometern wurde die Landschaft zusehends menschengeprägter: Abgeerntete Getreidefelder, Viehweiden, Straßen, Eisenbahn. Jetzt liegen wir in Torreboda, auf halbem Weg zwischen Vättern und Vännern. T. ist ein typischer Provinzort wie überall auf der Welt, kein Grund, dafür auf Reisen zu gehen. Am Steg ist es aber auszuhalten. Maritim eben, trotz Agrarmetropole rings herum.
Peter hat gerade den Aufsatz des Espressokochers im 2,5 Meter tiefen und trüben Kanalwasser versenkt. Nach kurzem Überlegen (Tauchen?) habe ich den Rest hinterhergeworfen (und in einer Anwandlung das inzwischen letzte Schnapsglas noch dazu).

Jeder Tag ist jetzt ein bisschen herbstlicher. Am Abend wird es schnell und nachhaltig kühl. Die Bedingungen sind jetzt etwa so wie auf unserem ersten Reiseabschnitt im Mai und Juni. Der Wechsel war etwas abrupt, aber wir sind beide froh, dass wir vergangene Woche diesen Binnen-See-Traum-Sommer noch erleben durften.
Morgen geht's weiter bis zum Kanalende am Vännern-See, dazwischen liegen noch etwa 20 Schleusenkammern auf etwa 10 Seemeilen. Ich hoffe, dass wir in den für Peter verbleibenden zweieinhalb Tagen noch über die SW-Ecke des Sees kommen, wo der (kürzere) Trollhättan-Kanal beginnt. C., der nächste Matrose, hat gemailt, dass er am Wochenende kommt. Ich habe ihm schon zurückgeschrieben, dass ich bezüglich Reisetempo Dampf machen will. Ich will heim. Wenn der Sommer nicht schon fast am Ende wäre, würde ich jetzt am liebsten 3 Wochen Pause machen, und erst dann den Rest segeln.
Zusammenreißen, Seemann!

Rothaus

Abb. 9: Rothaus


Log 7.8.

Die Ferienstimmung ist wieder da. Torreböda-Sjötorp: 12 SM, ca. 20 Schleusen, alle abwärts, kein Stress, aber es wird langsam langweilig. Das Schleusen und das Motoren dazwischen kriegt etwas von stumpfsinniger Arbeit. Leinen klar legen, reinmotoren in die Kammer, Leinen durch die Ringe, im Sinken fieren, fertig, weitermotoren. Den ganzen Tag fahren wir in Viererflotte: Die kontaktgestörten Norweger (die nicht grüssen können) mit der riesigen Najad, eine deutsche Familie aus Flensburg (die in 1 Woche zu Hause sein will), sowie Ernst-August und Renate (von Peter so getauft) auf einem supergepflegten Fahrtenschiff aus Hamburg, mit leider etwas Stress an Bord ("Ist das so gut?" "Weiß doch ich nicht, wirst Du gleich sehen. Jetzt nimm doch nicht wieder so dicht!").
Sjötorp lässt aufatmen. Der Kanal ist zu Ende, vor uns liegt ein weiter (sieben mal so groß wie der Bodensee), schöner (Schärenfelsen) See, am Ufer kaum Landwirtschaft, Sommerwetter, leichter Wind.
Abends gehen wir noch baden. Ein Lehrerpaar aus Stuttgart mit eigenem Häuschen hier am See und mit einem Boot mit Konstanzer Bootsnummer gibt uns gute Tipps für die (elend lange) Überfahrt nach Trollhättan.

Croco am Teich

Abb. 10: Croco am Teich


Log 8.8.

Endlich bin ich wieder Segler. Und wie ich willkommen geheißen werde auf dem freien Wasser, ich und mein Krokodil und natürlich Bootsmann Peter. Während wir das extra frühe Frühstück noch unter schönster Sommersonne zelebrieren, findet das inzwischen ziemlich lustlose Abspulen der letzten 3 dreckigen Schleusenkammern schon bei bedecktem Himmel und inzwischen mäßigem Ostwind statt. Im Außenhafen machen wir dann kurz Klarschiff, waschen die arg schmutzigen Fender, und suchen uns auf der Seekarte eine Route durch den inneren, von Schären geschützten Fahrweg wegen des zunehmenden Windes. Auf dem Weg südwärts durch herrliche Natur wird es mit zunehmendem Wind auch spürbar kälter. Stück um Stück legen wir unsere Schwerwettergarderobe an. Als ich schließlich zum ersten Mal seit Monaten meine blaue Wollmütze auf dem Kopf habe weiß ich, dass der eigentliche Sommer vorbei ist.
Weiter zugelegt hat der Wind, von mäßig auf frisch auf stark, zuletzt bläst es sicher über 12 m/s. Und warum soll man/wir nicht auch mal Glück haben mit Wind- und Reiserichtung? Die im Grunde ja respektgebietende Brise kommt heute ausnahmsweise nicht genau von vorn sondern schön von schräg hinten. So angetrieben reisen (fast hätte ich "rasen" geschrieben) wir mit viel Kraft im Rigg und guter Geschwindigkeit raumschots durch den engen Tonnenstrich und dann übers freie Wasser in Richtung Läckö-Slot, einem Wasserschloss mit Seglerhafen im Burggraben, das wir uns als Tagesziel ausgesucht haben. Während wir uns anfangs über 7 Knoten noch richtig freuen, wird das Schiff zusehends schneller. Tagesrekord sind 10,4 Knoten (mit einem Reff im Groß). Eine kindische Freude bemächtigt sich meiner, es regnet, es stürmt, das Krokodil stürmt, und ich bin glücklich.
Widerstrebend komme ich meinen Gastgeberpflichten nach und lasse Pedro etwas von der Kraft an der Pinne spüren, die mich so high macht. Immerhin 9,2 Knoten sind ihm vergönnt. "Willkommen im Klub", gratuliere ich ihm etwas zu gönnerhaft.

Sailor 1

Sailor 2

Abb. 11,12: Sailor 1, Sailor 2


Durch Regen, Gischt und Dämmerung kommt langsam das Schloss von Lackö in Sicht. Die Einfahrt ist nach der Karte eng und verwinkelt, Wind und Welle stehen voll drauf. Rein geht's mit 8 Knoten. Es gischtet links und rechts über den Riffs und den Felsbuckeln und ich komme mir vor wie Tarzan persönlich, wie er sich von Liane zu Liane über die riesigen Stromschnellen des mörderischen Rio Periculoso schwingt. Im Becken vor dem Schloss legen wir einen dramatisch-sportlichen Aufschiesser hin, den leider wieder keiner sieht, so sehr regnet und stürmt es jetzt und alle haben sich in ihre paar Boote im Burggraben verkrochen.
Jetzt fühle ich mich wieder am richtigen Ort auf dem richtigen Boot. Das mit dem Kanal war ein Versuch, eigentlich auch ganz nett, aber eine Versündigung am Croco. Persenning übers Cockpit, Segel verstaut, Klamotten aufgehängt, die Kajüte trockengewischt, schon ist es gemütlich und zur Belohnung gibt es wie immer Kaffee und Rillos.

Das Schlossrestaurant hat leider schon geschlossen. Zu unserer höchsten Pein liegt noch ein Duft in der Luft, der auf richtig gute Küche schließen lässt. Uns bleibt nur die Bordküche: Lorbiff (Dosenhackfleisch), Reis, Packerlsoße, Salat. Dazu ein angeblich aus Frankreich stammender Landwein mit "en fruktig smak", auf der Fruchtigkeitsskala nach Peters und meiner kennerischen Einschätzung mindestens 75%. "Diese flatternden Hosen machen mich noch ganz fertig", sagt Peter, als er nach dem zweiten Glas des angeblich aus Frankreich stammenden Landweins unsere zum Trocknen aufgehängten Klamotten im Niedergang im Winde sich bewegen sieht und dabei zum wiederholten Mal erschrickt. "Dieser Mann", sagt Peter nach dem dritten und garantiert letzten Glas, "der steht mir im Licht", und meint wieder die leere Hose und den ebenso leeren Pulli, die durch ihr Hängen den Eingang verdunkeln. Dabei lacht er merkwürdig.

Log 9.8.

Es gibt Orte, die atmen eine gute Atmosphäre. Dalbergås, unser heutiger kleiner Schutzhafen, ist so ein Ort. Etwa 500 Meter tief in einer Flussmündung an der SW-Ecke des Vännern gelegen. Alter Bauerngrund, jetzt Campingplatz und kleiner Gästeanleger für Sportboote.
Ein alter, kleiner, zierlicher Herr im Blaumann mit Lotsenmütze ist der Chef des Betriebes, was man aber erst aus ihm herausfragen muss, so bescheiden ist er. Alles wirkt liebevoll und durchdacht angelegt und gepflegt. Als Krönung und passend zum Ensemble erwartet ein klassischer Tante-Emma-Kaufmannsladen aus dem Kinder-Bilderbuch den einkaufenden Camper oder Skipper. So ein Ort als Zuflucht nach einem respekteinflößenden Tag, was soll man da anderes sein als glücklich?

Respekt beigebracht habe ich nämlich wieder bekommen, heute. Beim Aufwachen Bilderbuchatmosphäre: Das Schloss und die Wiesen und die Schafe liegen im weichen Morgensonnenlicht. Es ist wie in den Werbespots für irischen Whisky oder für Rasierwasser vor 30 Jahren. Dann bezieht sich der Himmel wieder, es langt gerade noch fürs Frühstück, dann regnet es. Zu Beginn fahren wir nur mit der Fock, raumschots im Spaziertempo durch den Süßwasserschärengarten. Nach etwa 1 Stunde genussvollen Slalomfahrens öffnet sich das Fahrwasser und vor uns liegt ein Ozean. Schon nach kurzer Zeit frischt der Wind auf und gerade noch rechtzeitig ziehe ich das erste Reff ein, praktisch im gleichen Arbeitsgang das zweite und die Fock überlebt auch nur weitere fünf Minuten, dann fällt auch sie. Der Wind hat von kommoden 4 Bft. auf 6 und 7 Bft. zugelegt, je nach Laune der Regenfronten, die uns im Halbstundentakt entgegenziehen. Weil das Schiff bei der ziemlich hohen und steilen Welle und hoch am Wind mit gerefftem Groß allein nur noch wenig Fahrt macht, schlage ich als Notvortrieb das Sturmvorsegel an. Die runtergezogene G3 binde ich erst lässig mit 2 Bändsel, dann, als sich das derart beigebundene Segel erwartungsgemäss nach dem Eintauchen in die zweite Welle löst, in einem zweiten Gang aufs Vorschiff mit 5 Bändseln an der Seereling fest. Die Gänge auf das und das Arbeiten auf dem Vorschiff sind ein Abenteuer für sich. Auf und ab mit 1,5 Meter Amplitude sieht vom Cockpit eher gewöhnlich aus, den eigentlichen Kitzel kriegt nur der Vorschiffsgänger mit, wenn der schlanke Bug nach Überwindung eines Wellenberges halt- und geräuschlos wegtaucht. Eine besonders steile und hohe Welle lehrt uns Eigenheit und Revierbegrenzung unseres Racers: Es gibt Wellen, die sind zu hoch und zu steil für uns. Der Bug sticht einfach waagerecht in den auf uns zulaufenden Wasserberg ein, anstatt hochzuklettern und das Schiff taucht bis in Höhe des Mastfußes unter der Welle durch. Entsprechend groß ist die Überschwemmung im Cockpit.

Mit der maximal reduzierten Garderobe sind wir bestens ausgerüstet. Auch bei stärkstem Windgebrüll von schräg vorn lässt sich das Boot halbwegs aufrecht segeln und es bleiben immerhin noch 4-6 Knoten Fahrt, je nach Wind. Ich bin beeindruckt, Peter scheint auch beeindruckt.
Nicht so sehr wegen meiner Gastgeberpflichten, sondern eher um keine Angst aufkommen zu lassen und keine Übelkeit, bitte ich ihn ans Steuer, wo er seine Sache schweigend und konzentriert und gut macht. In meiner eigenen Aufgeregtheit gebe ich eine Zeitlang möglicherweise zu viele Anweisungen, jedenfalls spüre ich kurzzeitig eine leichte Gereiztheit meines Bootsmanns.
Dann in der Einfahrt in die Flussmündung bei Dalsbergå: Der Wind flaut ab, die Sonne kommt raus, Kinder spielen und quatschen mich an, und man glaubt es selber nicht, was da draußen auf dem See vor kurzem noch los war.

Log 10.8.

Zu schade eigentlich, aufzubrechen von diesem zauberhaften Dalbergså, aber was soll's, Peter muss zum Zug. Schade auch, die netten Stegnachbarn von der Yacht "B." (siehe oben, aber mit neuer Mannschaft) nicht näher kennenlernen zu können. Der Skipper hatte mir gestern schon bei der Einfahrt in den Hafen ein paar Worte auf Deutsch durch den brüllenden Wind zugerufen und gleich hatte ich ihn dialektmässig in meine alte Teilzeitheimat Augsburg lokalisiert. Das 5-jährige Töchterchen bestätigte dann im Steggespräch auch gleich, dass die Familie "früher" in A. gewohnt habe. Der Papa, ein großer Kerl wie ein Wikinger mit Schnauzer, fachsimpelt mit mir über Boote und Reviere und erzählt, dass er gebürtiger Augsburger sei und gemeinsam preisen wir A. als schöne Stadt. Am Morgen steckt er mir seine Visitenkarte zu. Ich lese "Dr." und frage dann endlich, was mir schon am Vortag schwante: Sind Sie nicht der Kollege W., der vor 12 Jahren während meiner Assistenzarztausbildung im Zentralklinikum immer im Nachtdienst…? Natürlich, der ist es und die Erinnerungen tauchen auf.

Na ja, raus aufs Binnenmeer. Der Wind tobt wieder wie gestern, wieder aus SW, der Richtung, in der 15 SM entfernt das Tagesziel Vänersborg liegt. 2 Reffs im Groß gibt es gleich von Anfang an, wir versuchen es wieder mit der Normalfock, wechseln wegen "zuviel Stress" schnell wieder auf das kleine Dreieckstuch von Sturmfock. Wind 6 und 7, hoch und steil die Welle, respektgebietend, aber die Kiste hält sich prima. Wir müssen kreuzen, sodass aus 15 Seemeilen schnell (bzw. wie immer) 25 SM werden. Vor V. lässt der Wind nach, die Welle unter Landschutz auch, ausgerefft und Fock hoch. War wohl ein bisschen früh, denn der Wind "erholt" sich wieder, Reff 1, dann 2, und eigentlich immer noch zuviel, aber auf einen weiteren Vorsegelwechsel habe ich in Sichtweite des Etappenziels keine Lust mehr. Wir kreuzen im bald betonnten, nur etwa 200 m breiten Fahrwasser, Pedro an der Pinne und ich mit dem Restkram beschäftigt. Wir kommen so tatsächlich unter Segeln bis zur Klappbrücke, die den See vom Hafen und vom in den Trollhättan-Kanal weiterführenden Fahrwasser trennt.

Wie befürchtet ist der Wechsel vom ländlichen Idyll zum Schiffsparkplatz vor Industriekulisse brutal und wirkt vorübergehend depressionsfördernd. Rillo, Kaffe und gleich das erste Carlsberg helfen über die Erschöpfung und die wieder mal erworbene x-te Schramme am Bug (diese Scheißboxen mit den Schwimmträgern!) hinweg. Peter kriegt eine gute Zugverbindung nach Stockholm und alles wird gut. War die beste Zeit mit Dir, sailor! Komm gut heim!

Ende Teil 15, die Fortsetzung, Teil 16




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