Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut

Teil 8,


Log 10.6.

Abendlicht

Ich werd sie alle schon morgen vergessen haben, die Namen der Inselchen und Inseln, die wir anlaufen, um dort festzumachen, zu essen und zu schlafen. Omö wars gestern, Famö heißt unsere heutige Liegestatt. Das eine so schön und unwirklich idyllisch wie das andere: Flaches Ufer, mindestens eine Steilküste von bis zu 10 Metern Höhe, mindestens ein Leuchtturm, ein Hafen, diverse Bauernhöfe, kerngesund aussehende Rinder, Kinder, Pferde. Zwischen diesen Inseln 22 SM Kreuz bei Nordwind 4-5 Beaufort, dem Wetter, bei dem Krokodile und ihre Dompteure aufleben. Kreuz scheint wie bei vielen Schiffen der absolut genußreichste Kurs zu sein, den einem die Cross 25 bieten kann: 30-35 Grad Höhe zum scheinbaren Wind, dabei um die 6 Knoten (Claus berichtet mir immer, er habe die gleichen Werte auf meiner alten Hoppetosse, glaub ich aber nicht, daß das Folke gleich schnell ist, das hab ich noch im Gefühl). Bordlog und Geschwindigkeitsmesser im GPS gleichen sich allmählich an. Wie sie das machen, ist mir egal, Hauptsache sie sind sich endlich einig. Die Gebrauchsanweisung für die Bordlogge und deren Kalibrierung kann ich nicht noch mal ankucken, sonst krieg ich Kopfweh (...dann drücken Sie für 3 Sekunden die Tasten "speed" und "reset" gleichzeitig, um unmittelbar danach...). Hauptereignis des heutigen Tages: Das "Spindluder" Kati ist in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Heftiger Gebrauch und die Seeluft haben sie vorschnell altern lassen. Hier eine Falte am Schmollmund mit "den prallen Lippen", dort ein Riß am süßen Po. Kati bleibt jedoch bei mir. Nicht im Spind, aber in einer Klarsichthülle im Ordner mit den Schiffsdokumenten, gleich an erster Stelle. Ich werde sie nicht vergessen.

Vergessen scheint mir der zauberhafte Hafen auf Famö. Tiefer Friede ist über mir, und wenn der nur vom Müller- Thurgau kommt (6,99 DM bei Edeka in Flensburg, schmeckt aber, ich schwörs, so gut wie jeder Superwein, den ich je getrunken habe, das ist von der Schiffsbewegung, sag ich). Dazu gabs 2 Schollen, frisch heute morgen beim Fischer am Steg gekauft, wie ich das bis dahin nur aus Reiseartikeln in "Brigitte" oder "Freundin" kannte. Zwei Seefischmahlzeiten pro Tag sollen ja beim mitteleuropäischen Mann mittleren Alters das Herzinfarkt-Risiko um bis 50% senken können. Mehr hilft nicht, drum gibts an Bord schon mal auch Nudeln oder Bratkartoffeln mit Spiegeleiern. Mit dem einfachen Essen ist es wirlich einfach, sich einzuschränken. Wie schon meine alte Freundin Gudrun sagt mit der Weisheit des ostpreussischen Landadels: Wohnen wie ein Fürst (Cross 25), sich kleiden wie ein Bürgersmann (Musto) und essen wie ein Knecht (s.o.).

Aber eigentlich wollte ich auf die Verlassenheit dieses und aller anderen idyllischen Häfen eingehen: Ein Radler oder Wanderer wäre entsetzt angesichts der Ödnis, die ihn nach einem entbehrungsreichen Tag empfängt: Verrostete Hafenanlagen, als Gastronomie höchstens ein Kiosk ("Sörrenderens Perle"), der stets und prinzipiell geschlossen hat, ein paar verlassen wirkende Ferienäuser sowie keine oder höchstens einzelne Menschen.

Am Ende der Welt- Glück oder Grauen?

Und was macht nun den Segler glücklich an Orten, die in anderem Zusammenhang als "Culo del mondo" durchgehen würden? Er schleppt sein Idyll mit sich (Cross 25) und freut sich am stillen, störungsfreien Liegeplatz. Er hat die schönste Behausung weit und breit, ist wegen der Vorräte in der Bilge weder auf Gasthaus noch Kiosk angewiesen und andere Menschen erträgt er (der Segler) ohnehin nur in begrenzter Zahl.

Log 10.6., spät:
Jetzt ist es 30 Minuten vor Mitternacht,im Dänenradio hämmert T.Rex, und es ist immer noch Abenddämmerung. Und kurz nach drei ist es schon hell, habe ich heute morgen mit schlaftrunkenen Augen gesehen als ich raus mußte, ein scheißklapperndes Want beruhigen.

Wenn es Nacht wird in Monte Carlo...

Log 11.6.
Bravo, Kapitän! Eine mutige Entscheidung! Nach einer Nacht mit gutem Schlaf zum Heulen des Windes bei strahlendem Sonnenschein erwacht. Der Wetterbericht: NW 3-4, zunehmend 6, 6 auch für morgen. Noch sieht alles sportlich reizvoll, machbar und gut aus. Aber so wars bei der Abfahrt in Kappeln auch. Und: Dieser kleine vergessene vergammelte Hafen, wo alles ein bißchen bis sehr verrostet ist, atmet einen guten Geist. Die Insel ist groß genug für ein paar Stunden Spaziergang und es gibt sogar eine bescheidene Einkaufsmöglichkeit. Zudem bezieht sich der Himmel, der Wind legt langsam zu, es wird kälter. Ilona hat sich trotz berechtigter Angst vor erneuter Seekrankheit schon entschlossen, zu meiner Entscheidung fürs Weiterfahren ja zu sagen, da ziehe ich zurück. Was soll die Hektik? Und wenn es wie vorhergesagt morgen eher schlimmer ist, bleiben wir eben 2 Tage. Wer sagt denn, daß wir Strecke machen müssen? Da sein, genießen. Thats it.

Die Zeit steht still

4 Stunden Inselwanderung. Alte Steinkirche aus dem 16. Jahrhundert, weiß gekalkt, schlicht innen wie außen, im Vorraum Kleiderhaken und Sitzbänke für die Kirchgänger, im Hauptraum hängt ein Schiffsmodell als einziger Schmuck von der Decke. Auf dem Friedhof Gräber von Leuten, die schon vor 50 bis 100 Jahre das biblische Alter von fast hundert erreicht haben. Muß an der Geruhsamkeit liegen, die die ganze Insel noch heute prägt: Frühstück, Vieh versorgen, Haushalt, Nachbarn besuchen, Sonntag in die Kirche und in die Wirtschaft. Zahlreiche verlassene Bauernhöfe, die die eigenen Aussteigerphantasien ankurbeln. Zurück am Schiff Pfannkuchen und Kaffee, es stürmt nun wirkich mit 6 Bft wie vorhergesagt, das Boot liegt vom Winddruck im Rigg schon mit 15 Grad auf der Steuerbordseite (schon wieder Stb.!).

Großer Schreck beim beiläufigen Kontrollblick in die Minibilge: Braune, zähe Flüssigkeit. Der Diesel ist undicht, Getriebeöl, lautet meine erste Diagnose. Dann Geschmacksprobe (danke für den Tip, Marty!): Espresso, eindeutig. Zuletzt hatten wir vor drei Tagen Espresso gekocht (nach der Sturmfahrt über die westliche Ostsee) und den nicht getrunkenen Rest in der Kanne vergessen. So kanns gehen.

Im Hafen laufen jetzt 2 Elfmeterpötte ein mit großer Chartercrew sowie ein großer Kat. Die Mannschaft wirkt etwas abgekämpft. Wäre wirklich kein Wetter für uns gewesen.

Heute ultimative Weinprobe auf der Suche nach dem ehrlichsten Wein der Welt: Tetrapak, Weißwein, spanisch. Vielleicht bin i c h morgen seekrank.

Log 11.6.
" Achalabibi ma bibi ma bibi, je nesaispas pourquoi je ne reste pas, ahmabibimabibi ..." tönt es aus dem dänischen Radio auf arabo-französisch, auf dem Tisch Schweinekoteletten (dän.:"Kod") mit Möhrchen, Champignons, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Reis. Und als Topping: Mein erster Weißwein aus dem Tetrapak: CASTANEDA, "modernste Kelter- und Konservierungsmethoden schaffen einen leichten, betont fruchtigen Weißwein", Herkunft: "aus verschiedenen europäischen Anbaugebieten".

Log 12.6.
Der Castaneda aus dem Tetrapak hat zu einer ruhigen, aber langen Nacht geführt. Viertel nach zehn zeigt die Uhr beim Erwachen. Die Crews von den Bavarias ringsum stehen schon seemännisch angezogen auf der Hafenmauer und halten beschwörend ihre kleinen teuren Windmesser dem Kuling (dän.: Sturm)entgegen. In der Regel bewirkt mehrminütiges Windmessen dann nachdenkliches bis ablehnendes Kopfschütteln beim Windmesser. Notfalls wird noch ein anderer Windmesser konsultiert ("Wieviel haben Sie denn?"). Dann gehts sowieso los oder auch nicht, wie es von Skipper und Mannschaft sowieso schon vor der Windbeschwörungszeremonie entschieden wurde. Wir haben kein Beschwörungswerkzeug an Bord. Bei uns erfüllt die Funktion des Orakels das kleine Zwanzigmarkradio, das heute wieder mit besorgter und anteilnehmender Stimme West 6, Schauerböen meldet. Eine solche erwischt mich dann auch ungeschützt auf dem gefährlichen Weg vom Schiff zu den Waschräumen. Schlagartig wird es dunkel, das Sekunden vorher noch Schaumkronen werfende Wasser wird glatt gepresst vom Regen und Hagel, unverändert stark oder stärker bläst der Wind. Solche Momente erwischen einen sonst auf See, Angst hab ich jedesmal gehabt. Mit dem Kulturbeutel im Arm auf dem Weg zur Toilette, untergestellt im Telefonhäuschen, sieht die Gefahren- und Angstlage schon anders aus.

Nachmittags:
Welch liebliche Wendung des Wetters: Der Wind läßt nach auf vertretbare 5 Bft., die Sonne läßt Meer und Wiesen in den herrlichsten Grün- und Blautönen erstrahlen. Der Entschluß zu segeln fällt leicht und einmütig. Vorher noch Besuch an Bord von einem Pärchen, das auf X79 reist und sich für die "geile Kiste" interessiert. "Mönsch ist das schön", als sie die Kajüte besichtigen.

Dann, ich bin des Seglers Glückspsychose nahe: Wind und Wetter sind beschrieben. Nachdem die doch beträchtliche Welle auf dem Reststück in Smalands Fahrwasser abgeritten ist, betreten wir ein sundartiges Fahrwasser zwischen Sjaelland auf der einen (nördlichen) und Mön und Falster auf der anderen Seite. Null Welle, kräftiger Wind von hinten, der für flotte 5-6 Knoten sorgt, Abendsonne, am Ufer die unglaublichsten Häuschen und Villen.

Die Admiralin

Ilona schafft es in enger Koordination mit dem Steuermann unter Segeln und ohne Kardanik oder sonstigen doppelten Boden Espresso und Schnittchen zu produzieren. Dann ein Rillo, von den guten Dänischen, anregendes Navigieren im engen Fahrwasser ohne lästiges Kreuzen. In Kalvehave bin ich psychisch weit "überm Strich". Jetzt was Bodenständiges, Zwiebelschneiden oder Spülen, sonst heb ich ab!

Ende Teil 8, die Fortsetzung, Teil 9




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