Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut
Teil 1, vom 02.Mai - 31.August 2001
6. Mai 2001:
Vor 5 Tagen wäre Schiffsübergabe gewesen. Wäre, wenn da nicht Kleinigkeiten fehlen würden. Zum Beispiel der Kiel. Der wäre eigentlich letzten Donnerstag in der Gießerei dran gewesen. Aber dann waren die von "ILLBRUCK" da.
Da will man nun auch nicht meckern, bei so viel nationaler Bedeutung. Da tritt man fast gern, zumindest bescheiden zurück. Und ein bisschen stolz. Immerhin der gleiche Gusskessel. Da ist man ja irgendwie verwandt, CROCO und ILLBRUCK meine ich.
Und überhaupt, ich habe Zeit, Neuaussteiger auf Zeit, der ich seit 4 Wochen bin. Tagsüber treibe ich mich bei den "Jungs" (stimmt nicht ganz: 2 Ladies im Team) in der Werft herum, versuche, nicht allzu sehr im Weg herumzustehen, und spüle schon mal das Kaffeegeschirr für die Mannschaft. Jeder nach seinen Talenten.
Marty Müller hat als Werftchef veranlasst, daß ich hotelmäßig gut unterkomme und schon werden Ferien aus der Warterei.
7. Mai 2001:
Sitze wieder bei Jensens Fischrestaurant, Fördeblick, Abendsonne. In Kleidern und Haaren habe ich noch den Staub der Werft, wo ich wieder den ganzen Tag rumgelungert bin. Freitag, also in 4 Tagen, ist heute als erneut letzter Termin für das Einwassern genannt worden. Ich bin gespannt. Für morgen wurde mir durch die Bauleitung Beschäftigungstherapie verordnet: Mit Herrn August darf ich nachmittags Strippen einziehen in meinem neuen Mast. So lern ich wenigstens was.
12. Mai:
Die "Werkstatt" schwimmt seit gestern. Voll im Zeitplan. Und macht dabei echt "bella figura". Die vielsagenden Blicke der einheimischen Segler im Hafen schwanken zwischen Bewunderung ("der Junge scheints sportlich zu brauchen") und offener Missbilligung ("ist doch kein Schiff in dem Sinne"). Ein Probeschlag wird's an den Tag bringen.
An Bord geht's mir wie jedem Häuslebauer in der Endphase: Überall Werkzeug, Staub, rauchende Handwerker, die sich nachdenklich am Kopf kratzen.
16. Mai:
Es ist soweit. Ich bin eingezogen. Zwar fuhrwerkt hier immer noch ein Innenausbauer (Reiner, netter Typ) herum, sodaß ich mit dem Einräumen warten muß, bis der Junge müde ist. Aber ich bin geduldig geworden in diesen Tagen. Es geht alles so langsam, aber das ist auch irgendwie gut so. "Kriegen wir hin" sagen die Jungs immer, wenn ich ein Problem anbringe.
Als Reiner schließlich müde ist, bin ich zum ersten Mal allein an Bord. Endlich. Auf diesen Augenblick habe ich den ganzen vergangenen Winter gewartet. Ich versuche, meine Siebensachen für einen ganzen Ostseesommer unterzubringen. Jetzt muß ich nur noch schön träumen, in meiner ersten Nacht an Bord.
17. Mai:
Bootstaufe.Die ganze Belegschaft ist erschienen. Bootsbauerin Tanja übernimmt den eigentlichen Taufakt, nachdem sich ihr Töchterchen im letzten Moment dann doch geniert hat bei so viel Leuten. Marty, der Werftleiter hält eine kurze Ansprache und überreicht mir als Taufgeschenk eine Flaggenparade und einen Blister. Ich bin richtig gerührt. Anschließend Grillfest bei LEE-Sails. Wegen der kalten Westfront, die immer noch das Wetter prägt, grillen wir draußen auf der Treppe (das weiße bundesdeutsche Einheitspartyzelt hat es uns schon mittags weggeblasen) und essen und trinken im Segellager. Wie immer allseits großer Appetit und großer Durst. Nachdem alles Fleisch und alle Würste verputzt sind, zaubert Sascha aus dem Eispanzer des Bürokühlschranks zwei uralte Flaschen "LINIE-Aquavit". Das geht runter wie Öl. Leider muß ich (wie immer, wenn ich mit den "Jungs" trinke) schon zwei Stunden vor dem eigentlichen Ende der Feier kapitulieren.
!8. Mai:
Langsam gewöhne ich mich an den Rhythmus: Nach abendlichem Streifzug durch Hafen- und Clublokale, mit oder ohne die "Jungs", schön schlafen bis etwa neune. Dann erscheint Reiner, um die "wirklich allerletzten Restarbeiten" zu erledigen. Reiner behauptet, mir würde dieses Leben inzwischen so gefallen, daß ich gar nicht mehr weg wolle aus Flensburg mit meinem fertigen Schiff. Er verdächtigt mich, ich würde nachts alles wieder abschrauben, was er tagsüber installiert hat.
19. Mai:
Es stürmt und es ist kalt. War mit Marty und einem Kaufinteressenten aus der Schweiz auf dem Croco draußen, Probesegeln bei West 5-6. Hat sich wacker geschlagen, das Krokodil, eigentlich auch nicht schlechter als mein altes Folkeboot. Nur Einhandsegeln bei Wind über 4 kann ich mir bei meinem neuen Sportgerät noch nicht vorstellen. Das Ruder will sehr aufmerksam geführt sein und das Bedienen der selbstholenden Winsch kommt mir immer noch wie Ingenieursarbeit vor und erfordert meine ganze lächerliche Konzentration.
In der Förde wird die Deutsche Meisterschaft der IMS-Yachten gesegelt. Eigenartiges Milieu, vor allem bei den großen Schiffen. Ein bisschen wie Auto-Formel-1. Die von den Eignern zusammengeheuerten Crews: Athleten-Zombies mit meergrauem, meist kaltem Blick, einheitlich verpackt in Crew-Uniform. Not my cup of tea.
Bei den Kleinen (IMS IV) segelt die "Green-Speed" mit. Bis jetzt letzter. Kein Wind für kleine Schiffe.
Heute kommt die erste Mannschaft bei mir an Bord. Markus und eine Freundin aus Frankreich. Soll eine routinierte Surferin sein, kommt vom Atlantik. Und bei Markus (gewaschen zu gleichen Teilen mit Bodensee- und Ostseewasser) weiß ich sowieso, daß ein erstklassiger Seemann und guter Kamerad aufs Schiff kommt.
20. Mai, morgens:
Die Französin raucht meine Zigarillos. Muss mir Nachschub von zu Hause kommen lassen.
20. Mai, abends, Dyvig, Dänemark:
Spaghetti mit Pesto aus dem Glas, Teller auf den Knien (Tisch fehlt noch, "kriegen wir hin", sagten die Jungs), köstlich.
Der erste Segeltag ohne den "großen Bruder" Marty als Schiffsführer liegt hinter uns. Erst die Innen- und Außenförde raus, dann rüber nach Sonderborg in Dänemark, unter der Klappbrücke durch in den Als-Sund und dort weiter bis Dyvig mit seinem Naturhafen, wo wir jetzt liegen. Vor der eben nicht heruntergeklappten Klappbrücke in Ortsmitte Sonderborg mussten wir Warteschleifen drehen. Zunächst ohne Überdruss, gab es doch viel zu sehen: Putzige Hafenmeile, historische Großsegler, sogar die königlich dänische Yacht. Markus fragt, wo ich eigentlich meine dänische Gastflagge habe und meint, wir könnten kurven bis wir schwarz werden. Der Brückenwärter würde wohl kaum aufmachen, ohne daß wir den korrekten Wimpel gesetzt haben. Und tatsächlich, kurz nachdem das weiße Kreuz auf rotem Grund steht, ertönt ein Klingeln und die Straßenbrücke öffnet sich für uns. Vor uns geht ein Dreimaster aus Stralsund durch. Dann fängt unser erster seglerischer Trouble an. Wind steht von vorn in die Durchfahrt. Also Maschine an. Mit Maschinenhilfe ist das Segeln nur noch teilweise kontrolliert, zudem bin ich durch die ungewohnte Bedienung des Motors abgelenkt. Eine Wende wird fällig, wir sprechen uns nicht ab, die Fock bleibt back stehen, das Franzosenmädel fliegt im Kuddelmuddel ins Cockpit und blockiert die Pinne. Es legt uns flach. Außer 200 oder 300 Fußgängern am Ufer, der gesamten Besatzung des Dreimasters und dem Brückenwärter hat die Szene keiner gesehen. Brav diskutieren wir nachher, wie es zu unserem Fehler kommen konnte und geloben einander Besserung.
Im Sund stark böiger Wind direkt aus West, da wo wir hin wollen. Der ohnehin bedächtige, seit der S. Brücke leicht erschütterte Skipper entscheidet sich für Reff und Sturmfock und schon ist Ruhe im Schiff. Trotz starker 5 Windstärken von vorn entspanntes Kreuzen mit genug Kraft im Schiff. Zwei größere Yachten unter Vollzeug machen weder mehr Höhe (weniger) noch mehr Speed. Zigarillos werden ausgegeben.
21. Mai:
Sie quatscht. Nicht ständig, aber zuviel. "What comes before sex and starts with "P"?" I am amused. Denke an Wind und Welle, an mein neues wunderbares Schiff und an meine sehr krank gewordene Lieblingstante, wie ich gestern von meinem Bruder per e-mail erfuhr.
Von Dyvig sind wir heute ferienmäßig spät losgesegelt. Bis 9 geschlafen, lange gefrühstückt, Pfeifchen in der Vormittagssonne geraucht. Draußen im Sund das reinste Bodenseewetter: Strahlende Sonne und nur ein Hauch von Wind. Markus eröffnet mit einem Platscher vom Heck die Badesaison und klappert noch eine Viertelstunde nach dem Sekundenbad mit den Zähnen.
Trotz fast Nullwind segeln wir. Eine Hallberg-Rassy ("der Wolf im Schafspelz" heißt es so schön im Prospekt) bleibt weit hinter und unter uns. Startet schließlich die Maschine.
Nachmittags biegen wir in den Gennerfjord am jütländischen Ufer ein. Auf der Karte weite Flachwasserzone am Ufer. Markus knüppelt Höhe 200 m vom Strand. Ich werde unruhig, will aber nicht krampfig wirken und sage nichts. Wassertiefe 15 m behauptet das Echolot, dann in Sekunden 8,5,3, rums. Das Croco stoppt sanft ab und legt sich würdevoll auf die Seite. Wir kommen mit den üblichen Mitteln problemlos frei. Aber der Neu-Eigner hat jetzt keine Ruhe, bevor er nicht den geprellten Kiel in Augenschein genommen hat. 10,1 ° C behauptet das Bordthermometer. Badehose an, Schwimmbrille auf, und rein. Mir nimmt es den Atem. Der Tauchgang zum 160 cm unter der Wasseroberfläche befindlichen Kiel scheint unendlich.
Dunkelheit, Stille, Kälte. Es reicht für eine sehr kurze visuelle und taktile Inspektion. Der Kiel scheint mehr oder weniger gerade zu hängen und fühlt sich an, wie er sich in Dutzenden sehnsüchtiger Berührungen in der Werft auch angefühlt hat. Glück gehabt, erneut Besserung gelobt, Sherry-time.
22. Mai:
Früh erwacht. Die Morgensonne scheint uns durchs Luk direkt ins Gesicht. Sensationelles Aufstehen um sieben. Markus beginnt den Tag mit Deckswaschungen. Er weiß, wie man dem etwas pingeligen Skipper eine Freude machen kann.
Beim Auslaufen aus dem Genner-Fjord kommt erstmals der von Marty zur Schiffstaufe spendierte Blister zum Einsatz. Blau und weiß wölbt sich die in den Augen des ehemaligen Folkebootseglers riesig erscheinende Blase im leichten raumen Wind.
Markus steuert, was eben zu steuern gibt bei 1-2 Windstärken. Ich ziehe mich mit Hals- und Kopfschmerzen in die Koje zurück und sinniere. Mein Tantchen kämpft in diesen Minuten den Kampf ihres Lebens auf einem OP-Tisch in Süddeutschland. Ich denke ständig an sie und daran, wie dünn das Eis ist, auf dem wir alle selbstvergessen herumtanzen.
Überlege, warum auf See und beim Segeln das Bedürfnis nach Duschen und Waschen so deutlich nachlässt. Ist es nur der Wind, der die Ausdünstungen nicht ruchbar werden lässt? Oder ist es einfach ein anderer, ein gesünderer, ein eben nicht unangenehmer Schweiß, den man/frau bei der Auseinandersetzung mit der Natur absondert?
Per mail habe ich erfahren, daß in meiner alten Firma der Personalchef nach weniger als einem Jahr auch gekündigt hat. War ein eigentlich netter Kerl gewesen. Sein Problem, wahrscheinlich.
Habe mich Markus gegenüber geoutet, daß ich das Engagement unseres weiblichen Mannschaftsmitgliedes mangelhaft finde. Er beruhigt mich mit der Information, daß das Mädel eine "schwere Zeit" hinter sich habe. Das Wort "Selbstmordversuch" wird geraunt.
Meine Gedanken sind sprunghaft. Fieberwahn?
Keine Lust auf Rauchen. Schlechtes Zeichen.
Rest des Tages vergeht mit Flaute. 10 SM bis Faborg. Segel runter. 1 Stunde motort. Dann Wind. Segel wieder rauf, prachtvoller am-Wind-Ritt in die Bucht von F. zwischen 100 Untiefen und 100 mal 100 Seezeichen hindurch.
23. Mai:
Soll keiner behaupten, es wäre nix los im Bauch unseres jungen Krokodils. Schiffskoller. Crocophobie. Jedenfalls ein seelisches Durcheinander bei unserem weiblichen Mannschaftsmitglied, welches eigentlich zur Rekonvaleszenz zu uns an Bord gekommen war.
Glasiger Blick wegen ein paar Beruhigungstabletten. Ein paar blutige Hautschnitte quer übers Handgelenk. War alles nicht ernst gemeint, sagt sie. Aber so können wir mit dem Mädel nicht mehr rausfahren.
Und schon ist eingetreten, was später sowieso gekommen wäre: Ich bin mit meinem neuen Schiff auf mich allein gestellt. An- und Ablegen bei Wind und bei Strömung, Segel setzen und bergen, Segel führen, navigieren in einem der eher unübersichtlicheren Fahrwasser Europas, und das alles auf einem Schiff, dessen Segelverhalten mit "geil" zwar gut zu umschreiben ist, das aber schon mehrfach nervöse Züge an den Tag gelegt hat.
Was solls. Ich habe Zeit und auch sportlichen Ehrgeiz, diese Herausforderung anzunehmen. "Auf Erdmanns Spuren wollte ich laut YACHT-Interview um die Ostsee fahren. Und Herr Erdmann ist in diesem Augenblick auch alleine unterwegs. Nicht auf der Ostsee. Eher draußen. Und hat noch gut 100 Tage solo vor sich. Will mich nicht beklagen.
Also erst mal Klar Schiff. Dann Tea-time im sonnenbeschienenen Cockpit, mit Blick auf die weite Bucht. Daß Mittwoch ist, merke ich daran, daß gegen 17 Uhr fast die Hälfte der Schiffe im Clubhafen zur Mittwochsregatta ausläuft. Viele Folkeboote dabei. Wäre schon ein bisschen einfacher zu handhaben, denke ich mir.
Gegen abend noch in der Bordbibliothek gestöbert und in der "Kunst weniger zu arbeiten" gelesen. Ich sollte so Zeugs nicht auch noch lesen. Mit meiner Arbeitsmoral steht es schon schlecht genug.
Ende Teil 1, die Fortsetzung, Teil 2