Logbuch der CROCO, geschrieben von Dr. Ernst Gut
Teil 14,
14.Teil: In dem die Lichter der Großstadt leuchten, ein Seemann dem Nobelpreis ganz nahe kommt,in dem Matrose Michael aus Zürich anheuert und schließlich das Kroko in Süßwasser gebadet wird.
Log 16.7.:
Das Angenehme (touristischer Stadtbummel) mit dem Nützlichen (Volvo-Schiffsmotoren-Service) verbindend gehe ich den weiten Weg zum Bootsmotorenservice vom Stadtzentrum Stockholms in die Peripherie zu Fuß.
Auf diese Weise erlebe ich en passant das Königsschloss mit Wachwechsel, die großen Museen (zumindest von außen), die großen ins Zentrum führenden Boulevards , und schließlich auch "gewöhnliche" Viertel mit Wohnblocks, Ringstraßen, Bürohäusern, Cafés von poppig bis popelig, Pfandhäusern, Kleingärten, Kiosken. Schließlich erreiche ich eine parkähnliche Vorstadt, mit vielen kleinen Segelklubs am allgegenwärtigen Wasser und noch mehr Schrebergärten. Ich atme auf. Dies hier ist eher meine Welt als dieses hochkomprimierte, rastlose, reiche und dabei eher sterile Zentrum von Stockholm. Wie ich mir schon länger denke bei der Rückschau auf die bisher besuchten Völkerschaften: Die Schweden haben das geographisch eindeutig schönste Land, die Dänen zeigen die gepflegteste Lebensart und Alltagskultur und wir Deutschen? Also gut. Wir bauen die rassigsten Schiffe (Cross 25) und brauen das beste Bier im Ostseeraum(Flens!).
Den Bootsmotorenservice finde ich nicht, lasse mir aber am Telefon sagen, dass das mit der garantierelevanten Erstinspektion erstens technisch eigentlich überflüssig und zweitens während der laufenden Höchstsaison terminlich sowieso nicht möglich ist.
Auf dem Rückweg in die Stadt lande ich zufällig in der deutschen Kirche: Ein Barockmonster aus dem 16. Jahrhundert mit furchtbar schlechter Luft im Innenraum. Habe trotzdem kurz von der Welt draußen verschnauft und dem übenden Organisten zugehört.
Dann schnell zurück zum Schiff. Man wird richtig abhängig. Der Entzug setzt jetzt schon nach ein paar Stunden ein. Ein Finne vom Bootssteg gegenüber kondoliert zur Lackverletzung am Bug. So ein schönes Boot, so eine bedauerliche Verunzierung. Er sagt, er würde das Schiff schon den ganzen Nachmittag bewundern und wegen der Kratzer mit mir leiden.
Ich nehme mir vor, morgen oder übermorgen umzuziehen, in den nächsten Hafen weiter draußen oder gleich ins Süßwasser in den Mälarensee, von wo ich auf einem anderen Wege (Södertälje) wieder das Meer und die Schären erreichen kann. Der Wasa-Hafen ist zu voll, zu laut, zu unruhig, zu teuer. Die wollen jetzt mit Strom umgerechnet schon fast 50 Mark, Preise wie in Saint Tropez, dafür gibt's dann nur 5 Toiletten für 200 Gastboote. Das war eine Leidensgemeinschaft heute Vormittag nach dem Frühstück vor den paar Klotüren, man frage nicht!
Stadtlog 17.7.
Zum Verlegen habe ich mich beim morgendlichen Blick aus dem Luk doch nicht entschließen können: Nieselregen, genau das, was mein "Rheuma" braucht und genau das Wetter für einen Museumstag.
Neben dem Wasahafen liegt das Wasa-Museum. Wasa beherbergt im Wesentlichen das restaurierte Wrack eines schwedischen Kriegsschiffes, welches vor ein paar hundert Jahren gleich nach dem Stapellauf im Stockholmer Hafen kenterte und sank. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die nautische Missgeburt dann gehoben, aufwändig restauriert und mit Hilfe vieler Stützen und Pfeiler im eigens darum herum gebauten Wasa-Museum aufgebahrt.
Ein Besuch des Wasa-Museum wurde mir schon vor der Abreise in Deutschland "dringend" anempfohlen. Das mit den dringenden Empfehlungen ging unterwegs weiter, zuletzt empfahl mir den Besuch "an absolute must!" heute Morgen das schwedische Seglerpaar vom Nachbarboot. "Ja, tomorrow werde ich hingehen, hab´s mir fest vorgemerkt", nuschle ich pflichtschuldigst zur Antwort. Vielleicht kommt mein leiser Widerstand gegen einen Pilgerbesuch im vielgerühmten Museum nichtschwimmfähiger Kriegsschiffe von den dauernden Empfehlungen. "Muss man einfach gesehen haben". Muss ich gar nicht, nichts muss ich. Dafür bin ich Seemann geworden, dass ich nur noch muss, was wirklich nötig ist. Reffen, wenn der Wind zu stark weht, und zwar wenn ich meine, dass es zu stark weht, und nicht der Skipper vom Nachbarboot. Essen, Trinken, Schlafen, soviel und wann und wie ich das meine.
Vor der Kasse des Wasa-Museum staut sich eine endlose Schlange internationaler Muss-Pilger, als Eintritt werden umgerechnet fast 30 Mark berechnet. Ich gehe statt ins Muss-Museum erst mal in die Städtische "Konsthallen": Die fotografische Sammlung eines Ehepaars namens Hall wird gezeigt. Der fromme Wunsch des Veranstalters, "that your vision be enriched, broadened and stimulated, which may make the trivial, everyday world look slightly different" geht für mich in Erfüllung.
Die Perlen liegen am Weg. Man muss sie nur aufheben!
Nach einem Zwischenhalt mit Kaffee und Rillo im "Blå Porten", halb Touristenabfütterung, halb In-place, ziehe ich weiter in die City: "Kulturhuset". Menschen lesen, schauen, hören Musik, eine weitere, kleinere Fotoausstellung. Deutsche Zeitungen liegen aus. Ich erfahre von Hannelore Kohls Tod und lese einen Kommentar über das Medienverhalten danach.
Ich lasse mich weiter treiben auf die Stadtinsel Skepsholmen, zum alljährlichen kulturellen Höhepunkt der Sommersaison in Stockholm, dem großen Jazz-Festival. Der Eintritt ist mir wieder mal zu teuer. 50 Mark aufwärts. Stattdessen gehe ich, ganz Schwabe, in die Kantine des "Modern Museum" und von dort auf die Terrasse der Kantine hoch über Skepsholmen. Von hier hat man einen Panoramablick sowohl über den Hafen, als auch über die Festivalbühne und das Konzertgelände. Auf der Bühne kommen und gehen die Musiker. Sie improvisieren, sie unterhalten sich, zu zweit und in Grüppchen, und verschwinden wieder hinter dem Bühnenvorhang. Das ist es, was ich an Jazzern (außer ihrer Musik)noch nie mochte: Ihre Undiszipliniertheit und die Pose des Übungsabends daheim im Probenraum, so als wäre gar kein Publikum da, dem sie so nebenbei 50 Mark aufwärts pro Nase abgenommen haben.
Stadtlog 18.7.
Das war wohl eine richtige kleine Reisedepression (früher nannte man das verschämt "Heimweh", was ich da schleichend seit 10 Tagen, akut seit Sonntag gehabt hatte). Hatte, nicht mehr habe, zwei Sachen sei Dank.
1. Die Verlegung des Schiffes aus dem grotesk überfüllten, teuren, unmaritimen Wasahafen (ein weiteres "Muss", "da müssen Sie hin, gar keine Alternative") in den mir viel sympathischeren Sportseglerhafen Navishamn, eine Seemeile stadtauswärts. Der Hafenmeister ist ein netter älterer Herr, seine blonde Tochter heißt Madeleine. Es gibt sogar einen Aufenthaltsraum für die wenigen Gäste und alle sind furchtbar nett miteinander.
2. Die wunderbare Labsal eines Besuches im Centralbadet, Drottningsgåtan Nr. 88. Jahrhundertwende, Marke Müllersches Volksbad München, nur nicht so perfekt und geschniegelt. Sauna, Dampfbad, Sprudelbecken, alles ein bisschen verwinkelt. Zur Schwimmhalle führt eine gefährlich glatte, schmiedeeiserne Wendeltreppe hoch. Dort empfängt einen schönster Jugendstil. Gerundetes Becken, Korbstühle, einschmeichelnde Musik (erst Walgesänge, dann ein halbes Dutzend Notturnos). Ums Becken und rund um die Galerie befinden sich Kabinen zum Ruhen, zum Schönmachen, zur Massage, alles schön mit alten Brokatvorhängen zu verschließen. In der Ecke liegt das "Kurbadet": Eine merkwürdigerweise durch ein eisernes Gitter abgesperrte Badekammer, in der nebeneinander zwei hölzerne Badezuber stehen. Offenbar hat ein Paar gebucht, denn zwischen den heiß dampfenden Zubern steht eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern bereit. Das große Schwimmbecken ist fast leer. Eine schöne Inderin nimmt eine Schwimmstunde. Augenschmaus.
Die Sauna bringt dann die Erleichterung, nach der ich seit Tagen suche. Langsam aber stetig löst sich die Verkrampfung in meiner rechten Schulter. Ich buche einen Massagetermin. "Book me on someone experienced. I´m a professional in medical rehabilitation myself" haue ich etwas uncool auf den Putz, um nicht gerade an einen pickligen Praktikanten zu geraten.
Ich lande schließlich bei Tschulie. Tschulie träumt davon, um die Welt zu segeln, war aber noch nie auf einem Boot. Ich versäume es, sie zu einem Besuch auf meinem Boot einzuladen.
Am Vortag habe ich in meiner Begeisterung ein Handtuch mit dem nostalgisierenden Aufdruck des Bades gekauft. Heute habe ich mein Massagehandtuch geklaut (ohne Aufdruck), in krokodilgrün. Ich konnte nicht widerstehen. Habe sozusagen aus Liebe gestohlen zu diesem wunderbaren Ort.
Mit erstmals seit vielen Tagen schmerzfreier rechter Schulter sinniere ich über die Entstehung meines Gebrechens nach. Ich glaube, dass der schöne, schlanke, aber eben auch kalte Alumast Schuld hat. Gegen jede seemännische Tradition schlafe ich als Schiffsführer an Backbord und habe dadurch allnächtlich das besagte kalte Metall an meiner rechten, im Folgenden schmerzenden Schulter.
Nach dem Bade besuche ich eine von Jung und Schön bevölkerte Gartenwirtschaft. Das Mädel mir gegenüber trägt (Nordischer Sommer) einen Rollkragenpulli. Ich bestelle "Prager Schnitzel", Kartoffelsalat und Bier. Den inneren Geldzähler stelle ich ab. Ich komme sonst auf keinen grünen Zweig in dieser möglicherweise doch wunderbaren Stadt.
Donnerstag, 19.7.
Die Nacht wird unruhig. Zum einen ist mein insgesamt ja sehr charmanter Liegeplatz einem geradezu wahnsinnigen Geschaukel durch Wellenschlag seitens der Grossschiffahrt und unbeherrschter PS-Protze ausgesetzt. Wellenhöhen von 1 Meter sind eher die Regel als die Ausnahme und manchmal knallt das Boot derart hart in die Leinen, dass mir angst um die Beschläge wird.
Zum anderen waren da meine Stegnachbarn letzte Nacht. 6 Schweden im besten Muskel- und Testosteronalter auf 2 Segelbooten. Sie kamen so um Mitternacht aus der Stadt, besoffen, und haben, wie man das gerne tut, an Bord weitergetrunken. Alles guter Seemannsbrauch. Dann fingen sie an zu singen. Fällt auch noch unter Seemannsbrauch oder Folklore. Als das schließlich den Jungs nicht den ersehnten Drive brachte, machten sie ihre Hafen-Blaster an, irgendwelchen Rock-Kram, volles Rohr. Mit der Nachtruhe war es da vorbei. Verzärtelter, mit den Landesgebräuchen noch zu wenig vertrauter Germane, versuchte ich, mich zu beklagen, auf Verhaltensregeln in den Häfen meiner deutschen Heimat verweisend, und kassierte fast eine Tracht Prügel dafür. Auf den anderen Booten mit vorgeblich schlafenden Schweden und anderen Wikingern rührte sich im Übrigen kein Mucks.
Mit Befriedigung nahm ich am nächsten Vormittag die Zeichen schweren Katers wahr, von denen die Wikingerhelden gezeichnet waren.
Ich besuche das Medizinhistorische Museum auf dem Gelände des Karolinska-Hospital und des Nobel-Instituts.
Mir fällt auf, dass so viele erfolgreiche Mediziner so ausgesprochen fiese Visagen haben. Schon vor hundert Jahren. 3 oder 4 Kerle aus einer weißbekittelten Psychiaterrunde auf einem Foto um 1900 finden es schick, den Kragen aufgestellt zu tragen.
Und die Arroganz, mit der zur jeweiligen Zeit bestimmte Methoden als absolut endgültig und außerhalb jeder Diskussion stehend propagiert werden, die heute als undenkbar und barbarisch gelten. Da haut der berühmte Professor Freeman auf einem Foto einem seiner Opfer mit dem Silberhämmerchen den Silberspatel ins Hirn (Oberrand der Augenhöhle, dann leicht nach oben und zur Seite vordringen, ein bisschen in der Hirnrinde rühren, schon ist der Störenfried wieder sozialverträglich). Freeman trägt bei der Arbeit eine Art Unterhemd, die behaarten Arme sind frei, Handschuhe braucht er nicht. Ist ja nicht sein Hirn.
Das berühmte Karolinska-Krankenhaus sieht aus wie wahrscheinlich alle Krankenhäuser von Weltgeltung: Auf einem riesigen Areal bunt zusammengewürfelte Gebäude vom Container ("Research A-F") bis zum Patientenhochhaus. Es riecht nach Arbeit, Lebensverzicht, "Erfolg".
Log 20.7.
Gerade haben zwei junge, gebrochen englisch sprechende Herren neben mir angelegt. Sie sind mit ihrem fürs Wochenende gemieteten Motorflitzer stolz in die Box eingeparkt, haben den Bug mit einer Art Wäscheschnur und Hausfrauenknoten am Steg festgebunden, haben aber schlicht "vergessen", wie sie nachher freimütig einräumen, auch eine Heckleine an der Boje festzumachen. Schon bei der ersten Dampferwelle kracht der Kahn auf den Steg. Die Jungs nehmen meine Hilfe ohne falschen Stolz an, erzählen von ihrer völligen Unerfahrenheit und ihrer großen Freude, die nächsten Tage auf dem Wasser verbringen zu dürfen.
Log 21./22.7.
Abb. 1, 2: Out of Stockholm
Mittags hole ich die neue Besatzung vom Busbahnhof ab: Michael, Ingenieur, in Zürich lebend, aus dem Schwobeländle stammend, soeben mit dem Flugzeug angekommen. Vom ersten Moment an habe ich ein gutes Gefühl, welches sich im Tagesverlauf fortsetzt: Lebendig, selbstbewusst, sieht an Bord, ob und wo was zu tun ist, auch und gerade in der Pantry. Dann geht es endlich wieder hinaus aus der Großstadt, raus aus Stockholm, trotz Groß- und Kleinschiffahrt unter Segeln. Und das mit einem "incredible speed", wie wir am Abend von Stegnachbarn hören dürfen, die uns beobachtet haben.
Abb. 3: Incredible speed
Freundlicherweise tragen sie die Kunde von unseren Segelqualitäten im kleinen Inselhafen der noch kleineren Schärengarteninsel weiter, so dass wir schon bald Besuch am Steg haben. "You also want to see my boat?" Aber klar. Wir entern eine "Swedish Saphir", eine Art modifizierter 5.5er, karg, kompromisslos, sportlich, gefällt mir gut, das Schiff. Zur Begrüßung schmeiß ich an Bord auch gleich eines von zwei Bordweingläsern um. Es geht in tausend Scherben, was beim Gastgeber aber nur Gelächter und dröhnende Witze hervorruft.
Die Insel hat ein Saunahäuschen, auf einem Felsen, direkt am Meer, mit Rausguckfenster. Rausgucken, und zwar gierig tun 3 pubertierende saunierende Schwedenbuben. Die Frau des Skippers, dessen Weinglas ich zerbrochen habe, badet nackt! Vom Felsen. Vor der Sauna. Sauna verkehrt. Die Voyeure sitzen drinnen…
Das Inselzentrum besteht in einer Wirtschaft: Typ traditionelles Ausflugslokal. Man serviert gutbürgerliches Essen, schenkt tschechisches Bier aus, es kocht ein deutscher Koch, der in München geboren, in Berlin aufgewachsen und 1968 hier hängen geblieben ist.
Alles wäre so wunderbar gewesen (der von Michael mitgebrachte, kundig ausgesuchte Whisky schmeckt nach mehr als nur nach Feuerwasser), wenn nicht gegen Mitternacht ein Rudel Motorboote mit besoffenen fetten Glatzen an Bord aufgetaucht wäre und bis um drei randaliert hätte. Meine Begegnung mit der segelnden Variante dieser Art Wikinger ist mir noch gut in Erinnerung und ich ziehe es vor, diesmal nicht an korrekte Seemannschaft in nächtlichen Häfen zu appellieren, selbst als mir einer der Randalierer vom Steg auf die Festmacherleinen pisst. Diese Art der Ruhestörung mit aggressivem Charakter ist mir allenfalls aus meiner frühen Jugend bekannt ("Rocker") und begegnet mir hier erstmals wieder. Da muss ich erst mit umgehen lernen. Von den anderen Schweden am Steg hat sich jedenfalls wieder keiner gemuckst.
Trotzdem, wenn die wilden Nordmänner grade keine Zeit haben und woanders randalieren, ein empfehlenswerter Platz: Insel "Gettfoten", 59° 22,80 N, 18° 21,50 E.
Log 23.7.
Es ist immer dasselbe: Bislang hat sich nach einer gut durchschlafenen Nacht noch jeder Liegeplatz als hübsches, sympathisches Eckchen herausgestellt. Auch wenn am Vorabend, müde vom Tag, das Urteil noch wesentlich kritischer ausfiel ("na ja, zum Festmachen reichts"). Heute ist Montag und man merkts: Alle weg! Das Badehäuschen habe ich morgens in aller Stille für mich allein. Kein dröhnendes Jungmännermotorboot auf dem Wasser. Die dröhnenden Jungmänner sind alle beim "Schaffe", Geld für Sprit und noch größere Motorboote verdienen. Fleißig, Jungs, weiter so!
Nicht zu glauben: Gestern Abend entleerte sich vom gedeckten Tisch eine volle Tasse tiefroten Weins auf das Alcantara-Sitzpolster an Steuerbord. Entsetzen beim Verursacher, großes Entsetzen beim Skipper. Rotweinflecken! Das geht nie wieder raus!
Trotzdem ein Versuch: Nasser Lappen, wischen, weg. Und der gewischte Bereich sieht sogar irgendwie "frischer" aus als der Rest, sonst keine Spuren! Dem Innenraumdesigner von "Cross" sei Dank!
Sonnenschein und idealer Wind gut 4Bft. aus SSW, ziemlich genau der Richtung, in die wir wollen. Die Segelbedingungen, die verschwenderische Fülle an Zeit, das gute Leben sind so oft so ideal, dass ich bedauere, langsam etwas "abzustumpfen" und das Gebotene nicht mehr mit der eigentlich angemessenen Begeisterung zu genießen. Doch, ich genieße, aber ertappe mich immer öfter bei Gedanken an die Rückkehr, wie und wann ich das Boot versorge, wie ich beruflich irgendwann weitermache. Sogar Ideen für den nächsten Segeltrip (Mittelmeer?) tauchen auf, und das während der schönsten Segelreise, die man sich denken kann.
Wir segeln 5 oder 6 Stunden bis Dallarö. Dieser Ferien- und Fischerort mitten im Schärenfahrwasser hatte mir schon auf der Hinreise Richtung Norden gefallen und als ich den Gästehafen in schöner Lage in der Spätnachmittagssonne sehe, ist mir klar, dass ich bleiben will. Michael ist einverstanden. Wir hatten einen perfekten Segeltag mit schönsten Kreuzkursen bei Wind von der genau richtigen Stärke und statt unersättlich noch 2 Stunden draufzusetzen gehen wir zu zivilisierter Zeit an Land. Zeit für Spätnachmittagsespresso, Lesen, Dösen. Landgang durchs Dorf, den kleinen Hafen.
Michael will lieber essen gehen als kochen. Ich bin leicht zu überreden. "Strand-Hotel" mit Terrasse und einzigartiger Aussicht über den Sund. Kleine, knapp 1 km lange vorgelagerte Insel im heute besonders warmen Abendlicht. Putzige, wie im Kinderbuch gemalte Häuschen im landestypischen Rot. Es gibt Fischsuppe oder besser, Fischeintopf. Gut gekocht. Vormerken für die Bordküche.
Nicht zuletzt seit meinen Erlebnissen mit den nächtlichen Randalierern gefallen mir die jungen Schweden weniger. Speziell die jungen Männer mit ihren Fast-Glatzen wirken gierig und latent aggressiv und heben sich enorm stark ab von der nächstälteren Generation, die distanziert freundlich, gelassen, zuvorkommend wirkt. Vielleicht spiegelt diese Betrachtung den Sachverhalt wieder, den mein schwedischer Krimiautor Mankell meint, wenn er von der für ihn nicht zu fassenden "Transformation" spricht, die Schweden in den letzten 20 Jahren durchgemacht zu haben scheint.
Hafentag, nicht wegen Starkwind oder sonst einer Naturgewalt, die den streckenhungrigen Segler aufgehalten hätte, sondern einfach, weil es so schön ist, hier in Dallarö/Dörrebrö, im Hochsommer.
Weites, stilles Wasser, in genau "richtigem" Abstand folgt Insel auf Insel. Fels, kiefernbestanden, droben thronen Häuschen und Häuser in teilweise atemberaubenden Lagen. Am Ufer Flachwasserbereiche, Sand, tiefgrünes Schilf, dahinter ebenso grüner, dichter, endloser Wald. Keine Wolke am Himmel, leichter, kühlender Wind, trotzdem ist es heiß. An den Badestellen viele Urlauber, trotzdem nicht überfüllt, Ferienstimmung. Michael, noch mit weißer Haut und gestern ganz schön rotgegrillt, hält sich im Schatten. Ich genieße die Sonne, kühle im Wasser ab, sonne.
Meiner Schulter, die gestern schon einen Rückfall veranstalten wollte, tun Bewegung, Wärme und wohl auch der kurze Kältereiz des Wassers gut.
Es ist paradiesisch schön, Badestimmung, wie ich sie liebe und heuer leider über weite Strecken verpasst habe. Wenn ich allein wäre, ich würde auch morgen bleiben, zumal so gut wie kein Wind vorhergesagt ist.
Abendstimmung. Noch ein letztes Bad in der Resthitze, dann zurück zum Boot, Essen, Trinken, Reden, Rauchen. Auf dem Wasser leider wieder dauernd Motorboote, meist mit Vollgas. Es hat wohl seinen Grund, dass den Schweden ein so strammes Tempolimit zumindest auf der Straße verpasst worden ist.
Log 25.7.
Koche gerade: Lammfilet, Gemüse aus Zwiebeln, Zucchini, Paprika, Pfifferlingen, Soße aus saurer Sahne (wieder versehentlich statt Kaffeesahne gekauft), Nudeln, Salat aus Gurken, Tomaten, Zwiebeln, Schafskäse, das ganze begleitet von 1 Flasche "African sky" 1999, als Apéro eine lauwarme Dose Carlsberg.
Passend zum Menu der Liegeplatz: Ein schmaler, von Fels begrenzter Sund zwischen zwei der vielen Inselchen, die eine heißt vielleicht Utö oder so, ist mir aber auch grad egal. Wir haben an einer Boje im freien Wasser festgemacht, nicht ohne vorher zu fragen("the owner will not come today, but when he comes, he will tell you!"). 30 Meter entfernt vom Schiff ragt ein sonnendurchglühtes hohes Felsufer auf. Zwei Mädchen springen von einem, ungefähr 5 Meter hohen Felsvorsprung ins kühle, tiefe Wasser. Am Ufer huschen Fischotter, rein ins Wasser, wieder raus aus dem Wasser, trocknen sich in der Spätnachmittagsglut. Im eigentlich klaren Wasser findet sich ziemlich viel Bewuchs. Ein unterhalb der Felswand ins Meer ragendes schwarzes Plastikrohr erklärt alles. Leider herrscht selbst hier reger Motorbootverkehr, wohl wegen der vielen, jetzt ausnahmslos bewohnten Ferienhäuschen.
Abb. 4,5: Sommerglut
Nach dem Mahle: Monte Christo Nr. 2, einziges Exemplar an Bord, in Stockholm nach ewiger Suche und unter Aufwendung beträchtlicher Finanzmittel erstanden.
Ich philosophiere übers Croco: Wenn der Kahn heut Nacht absäuft und Pantaenius wirklich zahlt, bestell ich das gleiche, höchstens vielleicht in blau statt in grün. Mehr Komplimente kann das Vieh doch wohl nicht kriegen, oder?
26.7.
Die Inseln letzte Nacht hatten natürlich Namen. Nach einer Nacht Gastfreundschaft also seien sie höflich genannt: Ranö, Aspö, Nattarö, und wir mittendrin. Heut morgen sind wir von der Hitze aufgewacht, im Verlauf des Restvormittags wird es dann noch heißer. Zunächst gibt es keinen brauchbaren Wind zum Reisen. Baden, Sonnencreme, Baden, usw. im Wechsel.
Ab etwa 13 Uhr bekommen wir wenigstens 3 Bft. aus SW, die Kiste fährt, Michael genießt es, ungestört am Ruder schalten und walten zu können und ich erledige meine "Arbeit" am Communicator unter Deck, geschützt vor der wirklich heftigen Sonne.
Abb. 6,7,8: Rudergast
Michael hat sich weiter als verträglicher, netter Mitbewohner an Bord herausgestellt. Da kommt jetzt keine "Überraschung" mehr. War eine gute Fügung.
Peter kommt am Sonntag. Von ihm erhoffe ich mir neben dem freundschaftlichen Austausch vor allem neue Rezepte für die Bordküche. Es wiederholt sich doch so langsam die eine oder andere Geschmacksnote.
Und wie es so ist, nach langem Prolog wird der Segeltag dann doch noch sportlich. Nicht so sehr wegen des Windes, eher in Sachen Navigation. In Höhe Landsort, Insel Öja, treffen wir eine Fehlentscheidung. Angesichts der großen Reststrecke zum Götakanal und des vergleichsweise jungen Tages, beschließen wir, weiter nach Süden und Westen zu fahren und nach 10 SM Luftlinie bei Enskär wieder ins Schärengewirr einzutauchen und dort Quartier zu machen.
Nun, aus den 10 SM Luftlinie werden auf der Kreuz wie oft 15 oder 20 und so steht die Sonne schon tief, als wir die südlichen Schärenausläufer mit der winzig schmalen Einfahrt vom offenen Meer zurück ins gar nicht offene Schärenfahrwasser erreichen. Schnell wird klar, dass "die Sache mit der Navigation" nicht so einfach werden wird bei der schnell schlechter werdenden Sicht. Wo ist denn die verdammte Westtonne? Wie kann man nur so blöd sein und dünne, blassgelbe Stangen als Seezeichen verwenden und sie dann auch noch mit schwarzen Streifen bemalen? Wie soll man die im Dunkeln sehen? Na gut, dafür und nicht weil sie tags so putzig aussehen sind die Leuchtfeuer erfunden worden. Roter, Grüner, Weißer Sektor, und immer schön auf Weiß bleiben, wie in der Bodenseesegelschule gelernt."
Müsste eigentlich hinhauen, wenn man sich die Karte ansieht. Ich sehe zwar die Karte an, sehe, dass nach dem Kompass 330 ° gesteuert werden müsste, ziele aber weiter wie hypnotisiert auf einen dubiosen Fahrwassereinlass, der auf 20° liegt. Mein "Gefühl" sagt mir, die richtige Einfahrt müsse da und da liegen, ist aber vollkommen daneben, mein "Gefühl", in diesem Fall. Es ist nämlich kein Gefühl, das ich da zum Navigieren missbrauche, sondern ein einfacher geometrischer Rechen- oder Programmierfehler im Kopf, der mich schon manches Mal beinahe vom rechten Weg abgebracht hätte. Michael weist zurückhaltend und sehr gentlemanlike darauf hin, dass die vereinte Information aus Karte, Kompass und Leuchtfeuern in nicht unerheblichem Gegensatz zum vom Skipper gewählten Kurs steht, und ich lasse mich überzeugen, Gefühl hin oder her.
So geht's mehrere Leuchtfeuer weiter, Tonnen und Spieren werden mit dem Handscheinwerfer angeleuchtet, ob rot, ob grün, schließlich geht's vom letzten Leuchtfeuer rechts ab, streng nach Kompass und Kartendreieck, in eine langgestreckte, hakenförmige Bucht, die der Eigner meiner Seekarten (Robi aus Flensburg) mit "Ankern gut" bezeichnet hatte. Jetzt ist es stockdunkel um uns herum, das Felsufer ist nur noch zu ahnen und ich bin gottfroh, als der Anker gegen Mitternacht ins 5 Meter tiefe Wasser platscht und auch noch hält.
Abb. 9: Ankerfrühstück
Log 27.7.
Ankern in der Bucht. Besser kann man gar nicht schlafen (wenn der Ankergrund gut ist) und aufwachen (Badewetter, Sprung ins Wasser). Der Tag verspricht eher noch heißer zu werden als die vorhergehenden und zudem fängt die Fahrt erst mal mit totaler Flaute an. So wird das nix mit meinem 45 SM entfernten Wunschziel Söderköping direkt am Eingang zum Götakanal. Nach einer Stunde Baden und Dösen im Wechsel kommt, was beim Segeln nach unterschiedlich langer Zeit immer kommt: Wind. Wie täglich seit 3 Wochen SO bis SW, etwa 4 Bft., thermischer Seewind.
Flott geht's durchs verzinkte, enge, innere Schärenfahrwasser, das für Michael in dieser Form auch neu ist und für mich noch einmal ein großartiger Abschied von einer der schönsten Küstenlandschaften der Welt. Wieder rauschen wir an Dutzenden schönster Liegestellen vorbei. Wenn ich je hierher zurückkomme, muss ich schwerpunktmäßig ankern (mit Spezialführer bzw. Karte sowie dem inzwischen erworbenen Selbstvertrauen).
Schwierig wird's erst wieder, man glaubt es kaum, als das Fahrwasser wieder offen wird. Über die Bucht vor Öxelesund/Norrköping gilt es über 5 Seemeilen die schmale Einfahrt ins Schärenfahrwasser gegenüber zu treffen. Winkeldreieck, Karte, Kompass, los geht's. Zu dumm, dass das runde Dutzend anderer Yachten, die in die gleiche Richtung segeln, einen Punkt etwa eine halbe Seemeile weiter östlich ansteuern als wir. Nein, wir sind schon auf dem richtigen Weg, beruhigen wir uns gegenseitig. Jetzt müsste aber langsam die grüne Tonne auftauchen, was ist das für ein merkwürdiges Seezeichen da vorn? Gewissheit, dass wir eben doch sauber daneben liegen verschafft der Tiefenmesser: Von 20 auf 10 auf 4 Meter in wenigen Augenblicken. Ein Griff an die Pinne, eine schnelle Drehung auf der Stelle (bravo, Croco!) und nichts wie weg hier, rüber zum Pulk. Weiter geht's bis Arkö und weil es schon wieder sechs Uhr ist und die "Reststrecke" noch 20 SM beträgt, bleibt nichts anderes übrig, als in Arkösund festzumachen. Den Rest dann morgen eben einhand, hat auch seinen Reiz.
Mein Herz ist eine Mördergrube, 28.7.
Wieder geht ein Begleiter von Bord, wieder habe ich mit gedrückter Stimmung zu kämpfen. Im Vordergrund steht diesmal das Gefühl, mit dem verdreckten, leergefahrenen, leergegessenen und leergetrunkenen Boot allein gelassen zu sein. "War schön, aber ich muss jetzt zurück nach Zürich, bin heut abend schon eingeladen zum Essen". Trotzig bestehe ich noch auf einem gemeinsamen Gang zur Tankstelle und in den Supermarkt, um die Basissachen gemeinsam zu ergänzen. Zum Bootsputz außen fehlt das Süßwasser, für innen die Energie. Duschen, Essen gehen. In der letzten Nacht zu zweit an Bord wird es noch unruhig: Die Schnaken haben sich zusammengerottet und fliegen Angriff auf Angriff und machen dabei keinen Unterschied zwischen Vorschiff und Hundekoje.
Abb.10: Schnakenalarm
Das an Bord eher seltene Klingeln des Weckers kommt kurz nach halb sechs fast wie eine Erlösung. Ich begleite Michael zum Bus, der ihn zurück nach Stockholm und zum Flughafen bringen soll. War eine gute Zeit mit Dir, sailor!
Log 28.7.
Am späten Vormittag breche ich zur letzten Seeetappe Richtung Götakanal auf. Ost 3-4, bedeckter Himmel, es ist angenehm kühl. Der Kurs führt in einen nach Karte fast 20 Seemeilen langen Fjord Richtung Westen. Wie immer vor mir ist am Morgen das halbe Dutzend weiterer Kanalaspiranten aufgebrochen. Zunächst sehe ich sie nur aus der Ferne, 2-3 SM voraus. Dann kommt das Krokodil in Schwung. Trotz leichten Winds zeigt das Log 5,5 Knoten. Weil der Wind überwiegend platt von hinten kommt und wenig Raum für spitze Kurse bleibt, balanciere ich einen Schmetterling daher, für den Blister ist mir der Wind, der auf 4-5 zugelegt hat, zu stressig. Erst muss ein halbwegs sportlich wirkender 26-Füßer schwedischer Bauart dran glauben, dann ein großer, schwerer Toureneimer aus Deutschland, schließlich, härteste Nuss, ein 31 Fuß-Schiff, das sich nach Rumpfform und Rigg möglicherweise auch Cruiser-Racer nennt, aber eher Richtung Cruiser tendiert. Auf dem konkurrierenden Cruiser-Racer mühen sich Papa und Sohn unter Zuhilfenahme einer riesengroßen Genua (ebenfalls Butterfly) redlich wettbewerbsmäßig ab. Es wird ein zähes Geschäft, aber schließlich hole ich meterweise langsam auf und ziehe, um Schneckentempo schneller, vorbei. Wieder eher wenig Blickkontakt mit der "gegnerischen" Besatzung. Als letzte kommen die beiden netten Holländer in Sicht (Adrian und Leni), die wir erstmals in Dallarö gesehen und kurz kennen gelernt hatten. Leni und Adrian sind ein Pärchen in den Fünfzigern, die ihre Etap 26 in Helsinki gebraucht erworben haben und die sie jetzt in die Niederlande zurücksegeln. Sie haben die Genua ausgebaumt und damit haben sie schon einen Vorteil auf diesem Kurs, aber es langt halt wieder nicht. Tut mir fast ein bisschen Leid für die beiden, weil sie echt nette Leute sind und die Segelwettfahrt bei allem Spaß auch sichtlich ernst genommen haben. Nach 4 Stunden begeisternder Fahrt ist der Fjord und damit meine Fahrt in den Ostschären von Schweden bei Mem zu Ende. Ein kurzes Gewitter, Segel bergen (geht jetzt alles einhand problemlos dank Waldi´s Selbsteueranlage Marke "Tampen"), ran an den Anleger vor der ersten Schleuse zum "Einchecken" in die Kanalstrecke. Umgerechnet rund 500 Mark kostet das erste Stück bis zum Trollhättankanal, Schleusen und Liegegebühren sind inbegriffen. Die netten Holländer eröffnen mir, dass die Schleuserei eine Disziplin für sich ist und allein eigentlich gar nicht geht:
Achterleine direkt senkrecht hoch über dem Heck festmachen, die Bugleine einige Meter vor dem Bug, über eine Umlenkrolle nach hinten auf die Winsch, und damit schön langsam dichtholen, wenn das Schiff mit dem Schleusenwasser langsam steigt und tanzt. Die Schleusenwärter(innen), sehen alle aus wie Studenten und nehmen meine aus der Tiefe der leeren Schleusenkammer hochgeworfenen Leinen entgegen. Es geht ohne Landhilfe wirklich nicht. Ich habe vor dem Einschleusen entgegen meiner sonstigen technischen Unfähigkeit die Blisterrollen von achtern an die Decksreeling im Bereich des Bugs ummontiert und es klappt wunderbar. Lediglich zwei weitere, dickere Fender werden ich brauchen, damit es nicht auch noch seitliche Schrammen gibt. Die am Bug reichen mir. Das Hinschauen tut trotz des drübergeklebten Pflasters immer noch weh. Im Kanalbüro werden passende Fender angeboten. Nichts ahnend lasse ich diese Gelegenheit verstreichen und verschiebe die Nachrüstung auf den nächsten Hafen.
Schon im Fjord hatte sich der Charakter der Landschaft unmerklich verändert: Von reiner Schärenwildnis mit lediglich einzelnen Sommerhütten ging sie über erste bewirtschaftete Grasflächen um die immer zahlreicheren Ferienhäuschen herum über in überwiegend von Menschenhand geprägte "Kulturlandschaft": Befestigtes, gnädig grasbewachsenes Kanalufer, daran ein Weg entlang mit vielen Radlern. Schilf, Wiesen, Weiden, Rindviecher. Das ganze im 3,5-Knoten Dieseltempo zu genießen. Hemd runter, Sonnenbrille auf, Polster raus, Rillo an, der Diesel tuckert niedertourig, Binnenschiffers Glück.
Log 29.7.
Lange nicht so gut geschlafen. Kein Wunder nach der Mückennacht in Arkösund. Und: Ich hab das Schiff für mich allein. Dass hier ein wesentlicher Umstand liegt, der über Wohlbefinden oder Missbehagen bei mir entscheidet, wird mir immer klarer. Dieses Zwitter zwischen Pärchen- und Chartersegeln ist irgendwie nur eingeschränkt lebensfähig bzw. lebbar. Gut, dass Peter, den ich morgen erwarte, ein alter Freund ist, den ich nur wegen unserer Freundschaft und nicht so sehr wegen seemännischer Hilfe eingeladen habe, mich ein Stück zu begleiten. Das wird gehn oder es wird nicht gehn, aber jedenfalls werde ich stets wissen, warum ich Pedro an Bord habe.
Was das Segeln selbst anbetrifft, habe ich gestern bemerkt, dass ich allein auf mich gestellt besser, schneller und wirkungsvoller zugreife, als in der Rolle des quasi weisungsgebundenen und damit latent unwilligen Vorschoters oder in der ebenfalls nicht ganz unkritischen Rolle des Rudergängers, der laufend irgendwelche als "Vorschläge" getarnte Kommandos brummelt("...tut mir leid, die Fock muss wieder dichter...").
Heute, Samstag, ist Großputz, "Käfig putzen", würde Herbie sagen. Das Bild ist bei einem Krokodil auch nicht ganz verkehrt. Eigentlich müsste ich, genau wie meine bisherigen Mitreisenden, inzwischen weitgehend kahl am ganzen Körper sein. Jedenfalls habe ich ganze Knäuel von kurzen, gekräuselten, dunklen Haaren aus den Stau- und Bilgenräumen gewischt. Tut richtig gut, das Schiff "versorgt" zu haben. Kehrwochen-Feeling. Kam etwas kurz in den letzten Wochen bzw. Monaten. Da schmerzt auf einmal die Macke im Lack oder auch der Kanten am Kiel, den ich zu meinem Schrecken kürzlich beim Tauchgang entdeckt habe, irgendwie weniger. Sie ist übersichtlicher, die Bescherung.
Zu den abartigsten Geräuschen in der von uns Sportschiffern betriebenen Seefahrt gehört das Betriebsgeräusch des Bugstrahlruders. Die Sorte mit eher tiefer Tonlage erinnert mich an ein großes Tier, einen Elefanten oder einen Dinosaurier, der schwer verletzt ist und an Schmerzen leidet. Nicht besser sind die hochtourig kreischenden Exemplare, an zu hoch drehende technische Gräte mit drohendem Lagerschaden erinnernd. Klingt ungesund. Da sind uns die Schiffstechniker noch was schuldig. Bugstrahl hört man hier im Kanalhafen jetzt die ganze Zeit. Erstens ist es eng, zum zweiten sind doch recht viele Charterer unterwegs, die einen Motorkahn nur für diese Kanalfahrt gemietet haben und entsprechend wenig Übung haben.
Schiffe kucken am Steg wird wieder interessant. In den schwedischen, überwiegend von Einheimischen belegten Häfen gab's, verglichen etwa mit Dänemark, nur wenig Ansprechendes zu sehen. Die meisten Schiffe waren ziemlich alt (wahrscheinlich wieder eine Folge der hohen Steuern und damit auch Schiffspreise), zudem waren es meist auf Wohnkomfort, Robustheit und leichte Handhabung, nicht so sehr auf Schönheit ausgelegte Exemplare. Aufregende Schiffe habe ich jedenfalls lang nicht mehr gesehen. Favorit gestern Abend war eine wunderschöne Comfortina 35 aus Deutschland. Ich selber bekomme im belebten Touristenhafen wieder ein wenig das "Porschefahrerfeeling" zu spüren: "So ein rassiges Schiff. Bestimmt schnell, oder? Hab sowas noch nie hier gesehen."
Im Waschraum treffe ich Adrian wieder. Er hat vorgestern in Aspösund, sowie gestern Abend und heute Morgen in Söderköping geduscht. Als ich scherzend sage, ich hätte Bedenken, ob meine Haut eine Dusche täglich überhaupt wieder vertragen wird, meint er, er und seine Frau seien praktisch "from shower to shower" gereist. Wenn's nach dem Hafenhandbuch keine Dusche gab, wurde gar nicht erst angelegt. Jedem sein Reiseprogramm!
Ende Teil 14, die Fortsetzung, Teil 15